Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
eine herrliche Landschaft mit fließendem Gewässer und prächtigem Grün.
Dazwischen hat sich ein Kleingartenverein angesiedelt. Unweit ihrer eigentlichen Wohnungen pflanzen die Städter hier in ihren Gärtchen mit putzigen Miniaturhäusern Blumen, Obst und Gemüse an oder lassen es sich in ihrer Freizeit gutgehen: trinken Bier, essen in der freien Natur und unterhalten sich miteinander. Ich habe schon einige dieser Anlagen gesehen, aber diese hier ist meine erste im Osten.
Und ich habe noch nie eine so reizvolle und malerische Schrebergartenkolonie gesehen.
Willkommen im Kleingartenverein Wettinbrücke e.V. Zwei Männer, Stefan und Uwe, diskutieren eine bedeutende Frage: den Rattenzug von Deutschland nach Rom.
Rattenzug?
»Ja. So nennen wir ihn, weil die Nazis ihn zu ihrer Flucht nach Argentinien nutzten.«
An diesem schönen, etwas kühlen, aber sonnigen Samstagnachmittag haben diese Leute anscheinend nichts Besseres zu tun, als sich über die Nazis zu unterhalten. Sind die noch ganz bei Sinnen?
Stefan bittet mich zu sich herein. »Wir sind die Schattendeutschen, im Schatten der Mauer«, sagt sein Nachbar Uwe. »Sie können uns auch ›die Dunkeldeutschen‹ nennen.«
Gibt es einen Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschen?
Beide bejahen dies.
»Wäre ich ein Westdeutscher«, sagt Stefan, »dann würde ich Sie bestimmt nicht in meinen Garten bitten.«
Nach einigem Überlegen fügt er hinzu: »Unter der DDR war es besser. Wir hatten ein besseres Leben. Wir lernten, wie man sich gegenseitig vertraut, und wir hatten viele Freunde. Zöge ich morgen um, würden mir zehn bis 15 Leute helfen. Im Westen wäre das ganz anders. Wir sind zwei Nationen, zwei Welten. Wir haben viele Freunde, und das liegt an der DDR.«
Ich stichele: Freunde wie die Stasi …?
»Ach«, sagt Stefans Frau Gabi, »darüber könnte man ein eigenes Buch schreiben.«
Haben Sie nach Ihrer Stasi-Akte gefragt?
»Nein!« antwortet Stefan.
Warum nicht?
»Ich habe viele Freunde und befürchte, wenn ich mir die Akte anschaue, müßte ich die Beziehung zu etlichen von ihnen abbrechen. Das will ich nicht. Ich will es nicht wissen.«
Ostdeutschland. Eine Welt für sich.
Nur Stunden später plötzlich die Nachricht von der Massenpanik bei der Love Parade in Duisburg. 19 Menschen, heißt es, sind ums Leben gekommen. Schätzungen zufolge waren fast anderthalb Millionen Besucher auf dem Technofestival. Adolf Sauerland ordnet eine Untersuchung an. Der witzige Mann, den ich in Duisburg traf, hat heute nichts zu lachen.
Bundeskanzlerin Merkel zeigt sich entsetzt und fordert eine »gründliche« Untersuchung des Unglücks, berichtet die BBC. Auch Papst Benedikt XVI. drückt seinen tiefen Schmerzüber die Todesfälle aus. »Ich gedenke in meinen Gebeten der jungen Menschen, die ihr Leben verloren haben.«
Tags darauf lasse ich mich von der Tram in den Stadtteil Grünau entführen. Haus an Haus, Wohnblock an Wohnblock, aber kaum jemand auf der Straße. Das wirkt insofern etwas seltsam, als hier Tausende von Menschen leben müssen. Hier sehe ich eine Mutter in einem Hijab, die ihr Baby bei sich trägt. Was mich daran erinnert, daß mir kaum ein Hijab in Leipzig aufgefallen ist. Interessant. Ich spaziere noch etwa zehn Minuten herum, bis ich schließlich ein paar Leute erblicke, von denen einige vor einem kurdischen Bistro sitzen, während sich die anderen im Stehen unterhalten.
Es ist heiß heute, und ich trage einen Hut, den ich mir vor ein paar Tagen bei Jack Wolfskin gekauft habe. Es handelt sich um einen lustigen Sonnenhut aus einem Material namens Supplex mit umlaufender Krempe, der meine Stirn, Augenbrauen, Ohren und noch einiges mehr bedeckt – sagen wir, ein Drittel meines Kopfes. Und während ich auf das Bistro zusteuere, fällt der Blick eines davorsitzenden Mannes auf mich. Er sagt etwas zu seinen Freunden, die nun alle ihre Köpfe nach mir recken. Sie mustern mich, verfolgen jeden meiner Schritte. Als ich nahe genug herangekommen bin, um Hallo zu ihnen zu sagen, kriege ich keine Antwort. Da nehme ich den Hut ab, und sie erwärmen sich.
Langsam. Ja. Mein Hut hat sie anscheinend mißtrauisch gemacht …
Keine 15 Minuten später reden sie nonstop. Über das Leben. Ihre Stimmen vermischen sich miteinander.
»Nach dem Fall der Mauer konnten wir reisen. Das ist gut, aber wer hat schon Geld, um zu verreisen? Sonst war alles besser unter der DDR.«
»Unter der DDR konnte man noch Kinder haben, weil sich der Staat um sie kümmerte.
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