Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuvia Tenenbom
Vom Netzwerk:
Banalität des Bösen zu porträtieren, na, dann hat das Hannah Arendt in Eichmann in Jerusalem sehr viel besser gemacht.
    Nach der Aufführung treffe ich mich mit Julia auf einen kleinen Plausch. Über einem Glas eiskalter Cola light frage ich sie, warum die Charaktere miteinander herummachen, während sie von Mord und Totschlag sprechen.
    »Die Obszönität des Bösen«, antwortet Julia.
    Ich sage nichts.
    Interessante Notiz am Rande:
    Im Dramentext heißt es: »Schon die Kreuzritter wollten nach Palästina und sind im Gazastreifen angekommen.« Heute jedoch ergänzte der Darsteller: »Sie sind wenigstens angekommen!« – mit Bezug natürlich auf die Nachricht des Tages, daß israelisches Militär die Schiffe gekapert hat, die die israelische Blockade des Gazastreifens durchbrechen wollten.
    (Die von propalästinensischen Organisationen organisierte und von der türkischen islamischen Gruppe IHH sowie der türkischen Regierung unterstützte »Free Gaza«-Hilfsflotte bestand aus sechs Schiffen, die Kurs auf Gaza nahmen. Die israelische Marine forderte sie auf, den Kurs zu ändern und die israelische Hafenstadt Aschdod anzufahren. Die Aktivisten verweigerten dies, woraufhin die Israelis das größte der Schiffe, ein türkisches Passagierschiff namens Mavi Marmara , angriffen. Dabei wurden neun Menschen, die alle mit der IHH zu tun hatten, getötet. Die Kommandoaktion fand in internationalen Gewässern statt, und was sich genau abspielte, ist umstritten. Die Aktivisten sagen, daß sie Nahrungsmittel und Medikamente, hingegen keine Waffen zu den in Gaza eingeschlossenen Menschen bringen wollten. Während sie »die Morgengebete verrichteten, eröffneten israelische Soldaten das Feuer«. Die israelische Seite jedoch behauptet, die »Demonstranten« an Bord hätten ihre Marinesoldaten »mit scharfer Munition und leichten Waffen wie Messern und Knüppeln« angegriffen.)
    Ich treffe den Schauspieler im Restaurant und bitte ihn um eine Erklärung seines Tuns.
    »Ich finde das, was da heute passiert ist, einen Skandal, eine Katastrophe, einen Horror«, sagt André Jung, der den »Ausnahmeboten« spielte. »Was die israelische Armee da getan hat. Ein Schiff geentert und Leute umgebracht, die Essen und Medikamente zu eingeschlossenen Menschen bringen wollten.«
    Auf die Frage, ob er alle Fakten berücksichtigt und ob dieseGeschichte nicht vielleicht zwei Seiten habe, antwortet er: »Ich habe nicht die Zeit, alles zu lesen.«
    Was soll ich dazu sagen? Soll ich sagen: Sie müssen aber die Fakten kennen, bevor Sie zu einem Urteil kommen, besonders, wenn Sie ein öffentliches Statement auf der Bühne abgeben? Ich vermute, daß das Zeitverschwendung wäre.
    Jossi Wieler hat bei diesem Stück Regie geführt. Er ist Jude, hat Verwandte in Israel und reist gelegentlich in das Land. Steht er hinter der improvisierten Bemerkung, die Herr Jung heute in sein Spiel einstreute?
    Wieler denkt laut darüber nach, ob er diese Frage beantworten soll, ob seine Antwort ihm nicht Ärger einbringen könnte, wenn er das nächste Mal in Israel ist, und sagt dann: »An einem solchen Tag, mit solchen Nachrichten, stehe ich dahinter. Künstlerisch und politisch.«
    Nun, das ist zweifellos eine mutige Antwort.
    Sollten Sie einmal von einem deutsch-jüdischen Regisseur hören, der im Dunkel der Tel Aviver Nacht von maskierten Sicherheitsleuten entführt wurde, wissen Sie jetzt, warum.
    Komisch. Kein Deutscher, der etwas auf sich hält, befürchtet, die Israelis würden sich an ihm rächen, wenn er ihren Umgang mit der Gaza-Hilfsflotte kritisiert. Ein solcher Gedanke ist unter der Würde jedes noch so gewöhnlichen Antisemiten. Jossi, der Jude, scheint da ganz anderer Ansicht zu sein.
    Ich wende mich an Julia und frage sie: Sind Sie stolz darauf, Deutsche zu sein?
    »Ich bin stolz darauf, gebürtige Hamburgerin zu sein«, sagt sie.
    Ich frage Jossi: Sind Sie stolz darauf, ein Jude zu sein? Ja oder nein?
    Wow. Der Mann möchte mich am liebsten erwürgen. Wie kann ich es wagen, ihm ein klares Bekenntnis, ja oder nein,abzuverlangen? Wie kann ein Mensch ein so grober Vereinfacher sein? Wenn ich so weitermache, teilt er mir mit, »dann gehe ich«. Punkt. Wer bin ich, die Bild -Zeitung? Meine Frage war eine sehr komplexe, die nach einer sehr komplexen und ausführlichen Antwort verlangt!
    Es ist ein regnerischer Tag heute in München. Ich besuche die Ludwig-Maximilians-Universität, genauer, die dortige juristische Fakultät, um mir Deutschlands nächste

Weitere Kostenlose Bücher