Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
etwas Leichterem. Irgendwelche »leichteren« Deutschen in der näheren Umgebung? Hat jemand einen Tip für mich?
Man erzählt mir von einem Ort, der mit dem Zug in zwei Stunden zu erreichen ist und in dem die Stadtbewohner 1633 gelobten, alle zehn Jahre ein Passionsspiel aufzuführen, das die Leidensgeschichte Jesu darstellen sollte. Sie glaubten, auf diese Weise von der Pest verschont zu werden, die damals die Gegend heimsuchte. Tatsächlich blieb ihnen die Pest der Überlieferung nach erspart, und die Stadt hat ihr Gelübde seitdem ohne Unterbrechung gehalten. Dieses Jahr findet wieder eine Aufführung statt. Ich kann ihr morgen beiwohnen. Hunderttausende aus aller Welt werden dasein, um sie zu sehen. Warum nicht auch ich? Abgesehen davon liebe ich es, Zug zu fahren, und dies ist ein prima Vorwand.
Nebenbei bemerkt: Viele Deutsche sagen mir, die DB sei fast immer unpünktlich. Lassen Sie mich eines klarstellen: Blödsinn! Die Deutsche Bundesbahn betreibt eines der effizientesten Schienenverkehrssysteme der ganzen Welt. Es ist hochentwickelt, schnell und auf die Minute genau. Man kann seine Uhr danach stellen.
Mit dem Zug also fahre ich nach Oberammergau, um mir die weltberühmten Passionsfestspiele anzusehen.
Die Fahrt führt durch herrliche Landschaften. Starnberg: eine wahre Augenweide. Man kann den Blick nicht abwenden. Der Zug gleitet durch eine schöne Landschaft nach der anderen. Kilometer um Kilometer. Offen liegen Täler zwischen Bergen, die von spielerisch aufsteigenden Wolkengebilden umtanztwerden. Engel in Form von Weihern und Flüssen wechseln sich mit Kühen und Rehen ab, die sich dem Betrachter immer wieder in ihrer ganzen Pracht darbieten. Eine derart üppige Vegetation in allen nur möglichen Erscheinungsformen liegt vor dem begierigen Auge, daß sie die Schönheit des Paradieses im Koran beschämt. Ich kann mich nicht von dieser endlosen Verlockung lösen, die sich in solcher Fülle um mich herum auftut. Prachtvolle Kirchen, Zeugen einer langen Geschichte, schließen sich nach und nach diesem Chor von magischer Majestät an, der sich unmittelbar vor mir entfaltet.
Eine solche Schönheit haben meine Augen noch nie erblickt, Reichtümer wie diese haben noch nie mein Herz bewegt, Bilder wie diese waren meinem Geist bisher fremd. Ist das hier der Himmel oder die Erde?
Glücklich die Männer, gesegnet die Frauen, deren Los und Schicksal es ist, auf diesem Teil der Weltkugel zu leben. Denn sie haben einfach alles: das Geheimnis früherer Tage, die Technologie der Zukunft und das Beste der Gegenwart.
Wer sind diese Menschen? Die Deutschen.
Ich erhebe mich von meinem Sitz, schaue nach draußen und schaue mich drinnen um, sehe die Geschöpfe um mich herum und möchte schreien: Wie konntet ihr angesichts dieser Schätze, angesichts dieses Vermächtnisses an Schönheit – wie, in Gottes Namen, konntet ihr euch jemals auf einen Krieg einlassen? Was habt ihr denn sonst noch gewollt? War euch das etwa nicht genug?
Was habt ihr euch bloß dabei gedacht?
Das Passionsspiel beginnt. Und ehe man sich versieht, erscheinen Adam und Eva, er mit braunem Haar und sie mit blondem. Dann zieht Jesus in Jerusalem ein, Kinder im Schlepptau. (Schwester Jutta-Maria hatte recht. Jesus ist keinItaliener. Er ist Deutscher.) Hunderte von Darstellern sind auf der Bühne, wo sie die meiste Zeit praktisch reglos herumstehen. Bedauerlich, weil die Inszenierung dadurch zu statisch wird. Wer hier Regie führte, muß während der Proben geschlafen haben. Anders kann ich mir nicht erklären, wie man so etwas zulassen konnte. Alle Charaktere hier sprechen im gleichen Tonfall, Jesus auch. Das läßt mich vermuten, daß keiner dieser Hunderte von Darstellern auf der Bühne ein Berufsschauspieler ist. Ich bin mir sicher, daß diese Menschen über gewisse Fähigkeiten verfügen, vielleicht gar über so manche Fähigkeiten, aber Schauspielen gehört nicht dazu.
Diese Produktion hat große Aufmerksamkeit erregt, auch in den USA. Das liegt an der Mitwirkung einiger jüdischer Organisationen wie dem »American Jewish Committee« an der Neukonzeption dieser Inszenierung. Während jüdische Priester vor Jahren noch Hörner auf den Köpfen hatten (zuletzt 1984), wird Jesus heute als »Rabbi« angesprochen, und seine Jünger tragen Kippas. Die Erwachsenen und Kinder aus dieserdeutschen Stadt rezitieren und singen Bibelverse sowie einige jüdische Gebete auf hebräisch. Interessanterweise klingt das Hebräisch dieser Oberammergauer Kinder
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