Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
sind die Besten?
»Das ist eine Frage der Ehre. Man lobt sich nicht selbst. Ganz bestimmt nicht.«
Ist das eine deutsche Eigenschaft?
Jens hat die Falle schon von weitem erblickt.
Nein, sagt er. Spanien ist genauso. Jens verrät mir auch, daß der Idealismus nach der Wende in Ost- wie in Westdeutschland erloschen ist. Den Leuten ist der Eigensinn abhanden gekommen, und leider auch der Idealismus. Jeder unterwirft sich dem Diktat der Ökonomie, alle bangen nur noch um ihre Jobs. Ihm zufolge leben wir im Zeitalter des Opportunismus. Die jungen Leute etwa verstehen jene nicht mehr, die im Kampf gegen Hitler ihr Leben ließen. Sie fragen, warum diese Menschen nicht einfach ihre eigene Haut gerettet haben.
Jens gefällt mir. Er ist intelligent, ein Denker, ein Ehrenmann und ein echter Gentleman. Es gibt nicht mehr viele von seiner Art, wenn überhaupt. Gott oder die Natur, je nach Gusto, bringt keine Jense mehr hervor. Im heutigen Journalismus sind alle politisch überaus korrekt. Nicht so Jens. Nichts könnte ihm gleichgültiger sein. Er ist ein Idealist, ein Wort, das heute nur noch Verachtung auf sich zieht. Im heutigen Journalismus schreibt man nicht, was man denkt, sofern man überhaupt denkt; man schreibt, was sich verkauft. Jens’ Welt ist das nicht. Er gehört einer anderen Zeit an, einer Zeit, die nur noch in Legenden fortlebt. Es war einmal eine Zeit, in der die Journalisten ehrlich schrieben, und da gab es einen Mann namens Jens …
Während ich bei Jens sitze und ihm zuhöre, fühle ich mich wie an einem anderen Ort. Nicht wie in Deutschland, ja, überhaupt nicht wie im Westen. Die westlichen Intellektuellen predigen heute nur noch einen einzigen Wert: den der Toleranz. Das ist alles, was sie im Angebot haben. Alle sind wunderbar, und aus die Maus. Alle Kulturen sind großartig, Ende Gelände. Was sie tief im Innern denken, kann man nicht wirklich wissen. Vielleicht, nur so als Möglichkeit, denken sie rein gar nichts. Vielleicht ist das Innerste bloß ein leeres Loch. Die Toleranz ist oberstes Gebot. Und das war’s.
Jens aber sagt einem, was er denkt. Er ist barsch. Er ist nicht tolerant, nicht einmal seinen eigenen Leuten gegenüber. Er glaubt. Man kann mit ihm einer Meinung sein oder auch nicht, aber man weiß, was er denkt und wo er steht. Wie nichtwestlich! Ich habe in den vergangenen Tagen mit etlichen Menschen in diesem Land gesprochen. Ich habe sie auch gefragt, was es bedeutet, Deutscher zu sein. Die Intellektuellen waren überwiegend sauer auf mich, wenn ich ihnen diese Frage stellte. »Ihr Amerikaner«, sagte einer von ihnen, »verallgemeinert immer alles!« Intellektuell gesehen ist diese Aussage natürlich ein gewaltiges Paradox. Aber lassen wir das. Wirklich interessant ist dieser weitverbreitete Gedanke: »Wir sind alle gleich. Alle Völker sind gleich.« Das ist der Gipfel ihrer Weisheit. Wenn das Intellektualität ist, bin ich ein Bayer.
Ja. Ich fühle mich wie an einem anderen Ort, in einer anderen Welt. Nein, nicht in Israel. Das ist ebenfalls ein sehr westlich denkendes Land. Seicht. Ich fühle mich, als wäre ich im arabischen Nahen Osten. Und nur wegen Jens. Vielleicht bin ich im Nahen Osten. Vielleicht ist dieser Mann, der mir gegenüber am Tisch sitzt und mit deutschem Akzent englisch spricht, in Wirklichkeit ein Scheich. Scheich Jens bin Mustafa. Ich bin oft im Nahen Osten. Ich spreche mit den Menschen dort und höre ihnen gerne zu. Nicht weil ich mit ihnen einer Meinung wäre, und auch nicht, weil ich nicht mit ihnen einer Meinung wäre. Das spielt gar keine Rolle. Sondern weil sienicht diese innere Leere haben. Sie sind womöglich nicht »tolerant«, aber ich kann sie trotzdem respektieren. Sehr sogar. Es gibt etwas, wofür sie stehen. Da ist nicht innen diese Leere. Ich habe schon viele ehrliche Gespräche mit den »intoleranten« Menschen des Nahen Ostens geführt, aber bislang noch kein einziges mit den »toleranten« Menschen des Westens. Der Grund dafür ist höchst einfach: Die toleranten Menschen des Westens sind die intolerantesten Menschen, die man sich vorstellen kann. Ihre größte Furcht ist, daß ihre innere Leere entlarvt werden könnte; daher wünschen sie sich instinktiv, sobald man mit ihnen diskutieren will, man möge doch auf der Stelle tot umfallen.
Nichtsdestotrotz bin ich deprimiert, nachdem ich mich von Scheich Jens verabschiedet habe. Ich brauche Zeit, um nachzudenken und mich erst einmal wieder zu sammeln. Aber nicht hier, nicht in Hamburg.
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