Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
Gebet, oder Gebet durch Stille.
Die Nonnen müssen stumm beten, das möchte ich sehen.
Leider bin ich zu spät dran.
Das Kloster scheint leer, die Nonnen müssen ausgeflogen sein.
Vielleicht unterhalten sie sich irgendwo.
Oh, Moment mal. Da hinten ist ein Buchladen. Den möchte ich mir näher anschauen.
Eine Nonne ist da. Und ein kleines Buch, eher eine Broschüre: Edith Stein: Die neue Heilige – Jüdin und Ordensfrau .
Warum müssen die an so einem Ort mit so vielen Toten ein Buch über noch eine tote Jüdin verkaufen? Ist Edith Stein so besonders?
Warum muß man erwähnen, daß Edith Stein Jüdin war? Dies frage ich Theresa, die Nonne, die mit einem Lächeln antwortet: »Weil die Muttergottes eine Jüdin war, weil Jesus ein Jude war, und alle Apostel waren Juden, und wenn wir uns in jenen Tagen daran erinnert hätten, dann hätte es den Holocaust nicht gegeben.«
Wußte Papst Pius XII. nicht, daß die Muttergottes Jüdin war?
»Doch, doch, er wußte es.«
Was also meinten Sie, als Sie sagten –
Hierauf erfolgt eine lange Antwort, die ich nicht wirklich verstehe. Vielleicht wäre Schweigen besser. Ich wechsle das Thema.
Waren Sie je verheiratet?
»Nein.«
Je verliebt?
Sie errötet wie ein Kind.
Also verliebt schon?
Ja … Sie hatte eine Liebesgeschichte, doch der Mann ist gestorben. Das ist alles.
Sie kam zu diesem Lager, als sie 20 war.
»Als ich gerade meinen Führerschein hatte, bin ich direkt hierhergefahren.«
Mit 20 ist Ihr vordringlichster Wunsch, nach Dachau zu gehen??
»Ich wollte etwas über den Menschen herausfinden.«
Warum nicht in einem Biergarten?
»Weil ich mit den Juden mitfühlte.«
Mit den Juden. Warum?
»Weil die Juden alle eine Gemeinschaft bilden, überall auf der Welt sind die Juden vereint. Religiös oder nicht, sie glauben alle an einen Gott.«
Gott segne das deutsche Volk. Sie bringen mir alles über die Juden bei, was ich wissen muß.
Hätten Sie nicht gerne Kinder gehabt?
»Ich habe viele Kinder, die Kinder anderer Menschen. Das genügt mir.«
Wie sieht die Zukunft aus, was kommt nach alldem?
»Nach diesem Leben werde ich vollkommen glücklich sein.«
Was wird mit Ihnen da oben im Jenseits geschehen? Schildern Sie es mir.
»Ich habe kein besonders gutes Vorstellungsvermögen.«
Denken Sie manchmal darüber nach?
»Jesus hat gesagt, daß es wie eine Hochzeit sein wird, und so wird es dann wohl sein.«
Nicht nur Schwester Jutta-Maria träumt davon, mit Jesus verheiratet zu werden, auch Theresa tut das. Ich stelle mir den Himmel vor. Muß eine Gaudi sein da oben. Muslimische Männer sind mit ihren Jungfrauen zugange und christliche Nonnen mit Jesus. Ich frage mich, ob auch Freud da oben eine Dependance unterhält. Eines Tages sollte ich ein Buch darüber schreiben.
Im hiesigen Erdenleben ist Theresa unterdessen schon seit 19 Jahren in Dachau.
Wie fühlt sich das an?
»Ich liebe diesen Ort. So viele Menschen sind hier gestorben und haben hier ihr ewiges Leben gefunden. Ich bin überzeugt davon, daß die Menschen, die hier verbrannt wurden, jetzt bei Gott leben.«
Was ist Gott?
»Die totale Vergebung.«
Hat Gott auch Adolf Hitler vergeben?
»Ja, ich glaube schon.«
Was gab es heute zum Frühstück?
»Brot, Marmelade und Müsli. Am Sonntag bekommen wir auch Wurst und Obst. Zwischen zwei und drei Uhr nachmittags gibt es Kaffee oder Tee.«
Und zum Mittagessen?
»Mittwoch und Freitag gibt es kein Fleisch. Heute stehen Putenschnitzel und Tomatensalat auf der Karte. Und Wein.«
Abendessen?
»Kalte Küche, aber gut.«
Urlaub?
»In den vergangenen 19 Jahren habe ich keinen Urlaub genommen.«
Theresa bietet mir einen Orangensaft an und führt mich durch das Kloster. Sie macht das besser als so mancher Immobilienmakler.
»Möchten Sie bei uns übernachten? Es kostet nur 25 Euro. Ich habe da ein Zimmer, ich kann es Ihnen zeigen, es ist das Zimmer, in dem ein Jude zu übernachten pflegt, wenn er uns besucht. Ein alter Jude, über 90 ist er. Ein Überlebender. Er übernachtet hier. Es ist ein kleines Zimmer, aber sehr ruhig. Es geht auf den Hinterhof, von wo aus man den Wachturm sehen kann.«
Das nenne ich ein Zimmer mit Aussicht. Einen Steinwurf vom Krematorium entfernt.
»Sie können für eine Nacht bleiben, Sie können für eine Woche bleiben.«
Danke, ich werde es mir überlegen. Das Leben hier muß ziemlich angenehm sein, wenn sie seit 19 Jahren keinen Urlaub genommen hat.
»Ich trage einen schwarzen Schleier«, sagt sie mir, als hätte
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