Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
mir das entgehen können. Theresa könnte in die nächste Moschee gehen, ohne daß sich jemand daran stören würde. Zumindest nicht aufgrund mangelnder Sittsamkeit.
»Sechs Jahre hat es gedauert, bis ich den schwarzen Schleier bekam. In den ersten fünf Jahren durfte ich nur den weißen Schleier tragen, weil ich noch am Lernen war und noch nicht richtig zum Orden gehörte. Nicht ganz. Heute bin ich es. Ein Vollmitglied. Eine Karmeliterin.«
Interessant, was Menschen so glücklich macht. Ich für meinen Teil würde mich nicht so viele Jahre für einen schwarzen Schleier abplagen. Sollte es mich danach gelüsten, würde ich in ein Geschäft gehen und mir für ein oder zwei Dollar einen kaufen. Aber ehrlich, wenn man es sich recht überlegt, ist das Leben nicht komisch? An einer gewöhnlichen Universität bekommt man nach sechs Jahren harter Arbeit ein Blatt Papier, das mit so etwas wie »Master of Arts« beschriftet ist. Hier gibt es immerhin etwas Nützlicheres: einen Schleier. Keine Witze also auf ihre Kosten, bitte!
Als nächstes zeigt sie mir die Toilette. »Und wenn Sie sich dazu entschließen, über Nacht zu bleiben, dann finden Sie hier die Duschen.«
Ja, vielleicht sollte ich mal in Dachau duschen. Gute Idee. Brillant!
Ich verlasse Dachau, das KZ, bleibe aber noch ein bißchen in der Stadt. Ich möchte die Einwohner von Dachau kennenlernen. Eine ganz normale Dachauer Familie zum Beispiel.
Und bevor ich mich’s versehe, wird mir mein Wunsch erfüllt. Ich werde von einer hier ansässigen Familie zum Mittagessen eingeladen.
Man heißt mich mit offenen Armen willkommen. Das Essen ist auf einem Tisch im Hinterhof angerichtet. Hering, alle möglichen Sorten Käse und Aufschnitt, gefüllte Paprika, diverse Marmeladen und ein ganzes Sortiment an Getränken. Keine Cola light. Ob ich vielleicht einen Multivitaminsaft möchte? Vielleicht ein Mineralwasser? Die Dame des Hauses entschuldigt sich dafür, daß sie heute nur Wasser mit »wenig Kohlensäure« hat. Wenn sie gewußt hätten, daß ein »Amerikaner« zu Besuch ist, dann hätten sie natürlich Sprudel mit viel Kohlensäure besorgt.
Ja, es gibt in Deutschland Mineralwasser mit unterschiedlichem Gehalt an Kohlensäure. Beziehungsweise an »gas«, da wir uns natürlich auf englisch verständigen.
Und es hört sich seltsam für mich an, wenn man in Dachau von Gas spricht.
Aber sie hat Eis für ihren amerikanischen Gast. Unmengen. Möchte ich? Little gas with ice .
Amerikaner mögen Eis in ihrem Mineralwasser. Jeder Deutsche kennt diese merkwürdigen amerikanischen Gewohnheiten, selbst in Dachau.
Aber genug davon. Ich bin nicht nach Dachau gekommen,um über amerikanisches Gas und amerikanische Eiswürfel zu sprechen. Wir wollen hören, was die Leute zu erzählen haben.
Else, die Mutter, kam 1966 nach Dachau, am 1. Juni. Man muß schon genau sein: 1. Juni. Ich mag das!
Wir plaudern ein wenig.
Warum Dachau?
»Mein Mann arbeitete in München, und die Häuser waren hier billiger.«
Wußten Sie und Ihr Mann um die Geschichte der Stadt, bevor sie hierherzogen?
»Ja.«
Wäre das unter Umständen ein Grund gewesen, nicht hierherzuziehen?
»Nein.«
Man kann wohl davon ausgehen, daß einige der Menschen, die 1966 hier lebten, bereits während des Krieges hier waren. Haben Sie sie befragt, mit Ihnen darüber gesprochen, was hier während des Krieges geschah?
»Nein.«
Warum nicht?
»Wir hatten andere Probleme.«
Bedauern Sie es, nicht gefragt zu haben?
»Nein.«
Wir sind in Jürgens Haus. Elses Sohn Jürgen ist ein liebenswürdiger Mann. Er hatte vor einigen Jahren eine Begegnung mit Jesus Christus, erzählt er, und wurde »wiedergeboren«. Leiblich kam er hier auf die Welt, in Dachau.
In welchem Alter erfuhren Sie von der Geschichte Dachaus?
»Mit zehn. Im Geschichtsunterricht in der Schule.«
Und bis dahin wußten Sie gar nichts darüber?
»Nein.«
Was haben Sie empfunden, als es Ihnen zum ersten Mal klar wurde?
»Ich war schockiert.«
Können Sie diesen Schock beschreiben – ich meine, wie haben Sie reagiert?
»Gar nicht.«
Sind Sie zu Papa und Mama gegangen und haben gefragt: Wo zum Teufel leben wir hier?
»Nein.«
Warum nicht, wenn Sie schockiert waren?
»Ich weiß nicht.«
Kennen Sie irgend jemanden hier, dessen Eltern oder Großeltern am Betrieb von Dachau beteiligt waren?
»Nur eine Frau; die ist allerdings schon tot.«
Sonst niemanden?
»Nein.«
Haben Sie sich jemals umgehört?
»Nein.«
Ich weiß nicht warum, aber mich
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