Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
keine Raucherlaubnis in der Wohnung, wie man mir gesagt hat. Was für mich, einen Raucher, ein gewisses Problem darstellt. Soll ich einfach trotzdem rauchen, es sieht mich ja niemand? Nun ja, vielleicht lieber nicht. Ich habe versprochen, es bleibenzulassen. Aber jetzt, spät in der Nacht, ohne irgendeinen Gedanken an etwas Jüdisches, hat mich mein Verlangen nach einer Zigarette aus dem Tiefschlaf gerissen. Was soll ich machen? Ich muß eine rauchen! Ich ziehe mich rasch an und gehe auf die Straße, um nach Herzenslust zu qualmen. Langsam schlendere ich die Straße entlang, schaue nach rechts und blicke nach links. Beim dritten Zug stehe ich vor einem Plakat, auf dem chassidische Juden abgebildet sind. Wie haben die sich bloß in meine schöne nichtjüdische Straße geschlichen? Wer hat sie hereingelassen? Ich schaue mir die Sache näher an, um sicherzustellen, daß meine Augen mich nicht trügen; aber ja, es sind Juden. Die ersten Bergsteiger waren Juden, behauptet eine Broschüre, die neben dem Plakat ausliegt. Bitte? Doch, das steht da wirklich. Plakat und Broschüre werben für eine Ausstellung, die bis Februar 2011 im Alpinen Museum München läuft. Kaum habe ich mich entschlossen, mir die Juden aus dem Kopf zu schlagen, tauchen sie als Bergsteiger wieder auf. Wer braucht denn so was!
Ich rauche meine Zigarette fertig und schwöre, die Juden trotzdem zu vergessen. Laß dich doch von einer Werbung nicht verunsichern, predige ich mir. Kippe weg und ab ins Bett.
Am Morgen habe ich die jüdischen Bergsteiger komplett vergessen und freue mich auf einen neuen Tag, an dem ich nach neuen deutschen Gesichtern, neuen deutschen Ideen, neuem deutschen Denken, neuen deutschen Obsessionen, neuem Irgendwas Ausschau halte, wenn es nur neu und deutsch ist. Aber dann verspüre ich das starke Verlangen nach etwas altem, nämlich einer Zigarette. Ich gehe raus, um zu rauchen. Und nehme instinktiv die andere Richtung, die mich soweit wie möglich von den bergsteigenden Juden wegführt.
Meinen Glimmstengel anzündend, spaziere ich in gemächlichem Tempo los. Wie schön, nicht mit Juden belästigt zu werden! Mit den »Deutschen« hat man schon genug zu tun, das können Sie mir glauben.
Meine Zigaretten schmecken gut. Nach der ersten zünde ich mir noch eine an, dann noch eine, und flaniere so langsam wie die Sonne. Ich inspiziere meine Umgebung. Hier ist eine Reklame für die Süddeutsche Zeitung . Diese Werbetafel da an der Mauer ist eine dauerhafte, also keine, die turnusmäßig ausgetauscht wird. Kein Regenwetter kann ihr etwas anhaben. Das Motiv ist eine »typische« Seite eins der Süddeutschen , dieoffensichtlich die Leute vom Kauf der Zeitung überzeugen soll. Nach dem Motto: Was Sie hier sehen, kriegen Sie, wenn Sie unsere Zeitung kaufen. Oben auf der Seite sieht man japanische Jugendliche, die traditionelle bayrische Trachten tragen. Niedlich! Unter den Japanern befindet sich ein politischer Artikel, ein beispielhafter Artikel, nehme ich an. Dort steht, daß Obama den Friedensprozeß im Nahen Osten vorantreiben will, daß die Israelis stur sind und die Palästinenser in der Klemme stecken. Ich paffe und paffe und versuche zu verstehen, was mir diese Werbung wohl sagen will: Kaufen Sie unsere Zeitung, und Sie bekommen niedliche Japaner, sture Israelis und arme Palästinenser. Nicht schlecht. Grund genug, möchte ich meinen, für mindestens ein Zehnjahresabonnement. Und dann fällt der Groschen: Schon wieder Juden! Ach du lieber Himmel! Keine fünf Schritte kann man hier gehen ohne diese sturen Juden!
Komm runter, Tuvia, flüstert eine innere Stimme. Das ist nur diese Straße. Sonst ist München reizend und frei von jüdischen Obsessionen. Und so, um runterzukommen, nehme ich die nächste Querstraße. Ich kann nicht zulassen, daß sich »die Juden« wieder in meinen Gedanken einnisten. In dieser anderen Straße gibt es eine Buchhandlung. Mal sehen, was die so anbietet.
Ich betrachte die Bücher im Schaufenster. Geschichte des Zionismus . Ehrlich? Ja. Ich versuche, diesen Titel zu ignorieren, ein Einzelfall. Was gibt es noch? Das Jüdische Kochbuch . Alles voll mit Juden. Warum nur? Ich habe keine Ahnung. Ich gönne mir eine weitere Zigarette, während ich darüber grüble, warum die Deutschen so besessen von den Juden sind. Nolens volens beschließe ich, den deutsch-jüdischen Beziehungen auf den Grund zu gehen. Aber wie mache ich das? Vielleicht hätte ich doch besser nach Palästina reisen sollen, wie ich es
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