Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
erzählte mir, daß sein Vater nicht in der Partei war.«
Das ist alles?
»Ja.«
Alles?
»Er war ein einfacher Hotelbesitzer, kein Studierter, kein kritischer Mensch.«
Ich verstehe –
»Meine Großmutter war Halbjüdin, vielleicht sollten Sie das schreiben, das könnte interessant sein. Als eines Tages die Nazis vorbeikamen, um Nachforschungen anzustellen, weil mein Großvater einen ausländischen Radiosender hörte, schrie er sie mit den Worten an, er war ein Schauspieler, wissen Sie: ›Ich werde Julius Streicher [den Verleger des Hetzblattes Der Stürmer ] anrufen, was wollen Sie von mir!‹ Und sie zogen ab.«
So langsam dämmert mir, daß es in diesem Land mehr Juden gibt als in Israel. Von Rabbi Helmut Schmidt abwärts. Außer, vielleicht, Halb und Halb. Aber ich sage nichts zu Daniela; man darf eine Mitjüdin nicht verletzen. Statt dessen frage ich sie: Warum »Drei Raben«?
»Mein Vater pflegte eine Geschichte zu erzählen, wenn Gäste ihn das fragten: Vor ewigen Zeiten stand beim Bahnhofein Galgen, über den die Raben flogen, die alles sahen, und anschließend kamen sie hierher, setzten sich auf den Schornstein und erzählten, was sie gesehen hatten.«
Diese Stadt hat eine interessante Geschichte und ein paar nette Geschichtchen obendrein.
»Wenn mir eine Wimper ausfällt«, sagt sie und entspannt sich, »dann wünsche ich mir etwas. Mein Wunsch ist, daß alles so bleibt, wie es ist, denn ich bin rundum glücklich. Weil das Leben perfekt ist. Ich bin glücklich mit meinem Leben, obwohl ich Deutsche bin.«
Obwohl ich Deutsche bin. Ist es schwer, Deutsche zu sein? Vielleicht. Eines Tages wachst du auf, und deine Stadt wird bombardiert.
Aber Schluß jetzt. Ich möchte nichts mehr von den Nazis hören, ich möchte nicht an sie denken, ich möchte nichts über sie lesen. Nichts. Genug ist genug. Ich bin nicht wegen seiner Nazigeschichte nach Nürnberg gefahren, auch wenn das wahrscheinlich viele Juden tun. Ich wollte den Zug sehen. Klar! Hier könne man den ersten Zug besichtigen, der jemals gefahren ist. Ein deutscher Freund erzählte mir das, und ich will jetzt endlich diesen Zug sehen.
Daniela aber sagt, ich sollte das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände besichtigen. Wow, was für ein langer Name für ein Museum. Ich sage Daniela, daß das Kapitel mit den Nazis für mich abgeschlossen ist, daß es für mich vorbei ist. »Sie müssen das sehen«, befiehlt mir die Jüdin und schüttelt den Kopf. »Sie müssen!«
Jüdinnen können sehr hartnäckig sein. Besser, man gehorcht ihnen.
So kommt es, daß ich auf einmal zuhöre, wie Göring aussagt.
Er wird gefragt: Wußten Sie von dem Massenmord an den Juden?
Nein, tat er nicht. Der Mann hatte keinen Schimmer. Nichts gesehen, nichts gehört. Dies ist eine seiner letzten Bemerkungen auf Erden, sein letzter Wille für die deutsche Nation. Er wußte es nicht. Ist total neu für ihn. Hat ihm keiner gesagt. Niemand wußte es, vor allem er nicht.
Wie Danielas Vater.
Ich will hier raus!
Und geschwind, sofort, ins Museum der Deutschen Bahn! Züge sind besser als Nazis.
Laßt mich den allerersten Zug sehen!
Der erste Zug, sagt der DB-Mann, der am Infostand des DB Museums Nürnberg steht, fuhr in Manchester, 1824. Der erste in Deutschland fuhr 1835, und das war weltweit der fünfte. In diesem Museum kann man den Nachbau von 1953 eines 1935 gebauten Zuges sehen, der seinerseits ein Nachbau war. Das Original wurde 1851 an eine Textilfabrik in Augsburg verkauft.
Der Mann kennt sich aus.
Da haben wir den Salat. Ich bin umsonst nach Nürnberg gekommen.
Aber ich reise nicht ab, nur über meine Leiche. Ich habe den Abstecher hierher gemacht, jetzt bin ich hier und will Züge sehen. Originale. Nachbauten. Egal. Jede alte Kirche in diesem Land ist auch ein Nachbau. Also was soll’s.
Aber eins nach dem anderen: Am Eingang dieses Museums heißt eine Aufschrift auf glänzendem Glas die Besucher willkommen. Die DB heißt Sie willkommen. Mich. In zahlreichen Sprachen, darunter auch zwei semitischen. Das hebräische »Willkommen« hat interessanterweise gleich drei Fehler. Das könnte womöglich fürs Guinnessbuch der Rekorde reichen. Einige der Buchstaben gehören noch nicht einmal hierher.
Wie konnte die DB so viele Fehler in einem einzigen »Willkommen« unterbringen?!
Nun, ich bin wohl der letzte, der sich beklagen sollte. Ich habe nur zehn Euro für mein Ticket nach Nürnberg bezahlt. Das arabische »Willkommen« ist, nebenbei bemerkt, makellos.
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