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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuvia Tenenbom
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Fahnen, meine Deutschen. Sie küssen ihre Mitdeutschen. Sie tanzen wie wild. Das Spiel ging 4:0 für die deutsche Mannschaft aus, und meine Deutschen könnten stolzer nicht sein. Manche Fahnen sind viel größer, länger und breiter als ihre Träger. Sie wollen sich selbst und jeden in der Nähe in ihre Flagge einwickeln.
    Extreme Leute, meine Deutschen, und sie lieben ihr Land. Zutiefst. Sie schreien. Aus vollem Hals: »Deutschland! Deutschland! Deutschland!« Immer und immer wieder. Sie springen und springen und springen. Hier ist einer, der klettert auf eine Ampel. Drei Polizisten schauen ihm lachend dabei zu. Auch sie sind Teil der glücklichen Menschenmenge. Glücklicher Haufen, die Deutschen. Schau mal, wie groß die Flagge da drüben ist: so groß wie zwei breite Doppelbetten.
    Es ist gut, Deutscher zu sein!
    Ich gehe zu Bett und habe einen ruhigen Schlaf. Wenn es meinen Deutschen gutgeht, geht es mir auch gut.
    Sobald ich wieder auf den Füßen bin, treffe ich mich mit Bruno Gebhart-Pietzsch, dem Inhaber eines Ladens, der Fair-Trade-Kaffee und -Tee, Philosophiebücher, Biogetränke und CDs wie Kinder der Sonne verkauft. Darüber hinaus sitzt Bruno für die Grünen im Stadtrat.
    Im Tübinger Rathaus haben die Grünen 35 Prozent und damit ihren höchsten Anteil im ganzen Land, sagt Bruno stolz.
    Welche sind schöner, die schwäbischen oder die bayrischen Frauen? frage ich ihn.
    Der Mann ist schockiert, er kann schlicht nicht glauben,was seine Ohren da soeben vernommen haben. Die Frage macht ihn fassungslos.
    Ein Mann, der wie ein Mitglied des britischen Parlaments gekleidet ist, betritt den Laden. Er arbeitet in der Universitätsbibliothek, wo einer der Studenten eine leere Flasche auf einem Tisch hat stehen lassen. Er hat eine Frage: Möchte Bruno sie haben?
    Ich habe auch eine Frage: Versucht er, die Flasche zu verkaufen?
    Nein, nein! Es ist nur so, daß leere Flaschen nicht weggeworfen werden dürfen. Sie müssen ordnungsgemäß recycelt werden.
    Rechtschaffene Leute, meine Deutschen, und einigermaßen extrem. Wo sonst auf diesem Planeten findet man Menschen, die sich so sehr um eine leere Flasche sorgen, daß sie sie herumtragen, bis sie einen Grünen finden, der weiß, was mit ihr zu geschehen hat?
    Ehrlich gesagt fängt diese Rechtschaffenheit an, mir Angst zu machen. Rechtschaffene Leute können sich in Sekundenschnelle in Bestien verwandeln. Blind waren diejenigen, die den Nazismus in der Weimarer Republik nicht kommen sahen. Es war nicht die schlechte Wirtschaftslage, weswegen sich das Land den Nazis zuwandte; es waren die Weimarer Bürger und ihre Rechtschaffenheit.
    Ich weiß schon. Woher will ich das wissen? Weil ich in meinem Leben schon viele rechtschaffene Menschen kennengelernt habe. Nicht nur Deutsche. Und nicht ein rechtschaffener Mann oder eine rechtschaffene Frau hat mich je »enttäuscht«. Sobald ich ihnen im Weg stand, verwandelten sie sich binnen Sekunden in Bestien.
    Gewiß, viele Historiker würden mir in diesem Punkt nicht zustimmen. Aber ich habe Jahre damit zugebracht, die deutsche Geschichte zu studieren, vor allem die des Dritten Reichs, und das ist der Schluß, zu dem ich gekommen bin. Ich mag falschliegen, aber daß die anderen falschliegen könnten, ist ebenso möglich.
    Wie auch immer, ich mache mir eine geistige Notiz: Muß nach Weimar fahren.
    Ich bin mit Bruno noch nicht fertig.
    Ich frage Freund Bruno: Wer ist klüger, die Schwaben oder die Bayern?
    Bruno, durch und durch politisch korrekt, denkt nicht einmal daran, auf so etwas zu antworten.
    Sie sind überaus politisch korrekt, sage ich zu ihm. Waren Sie schon immer so?
    »Ich war früher einmal katholisch, wurde davon aber schwer enttäuscht, als ich erwachsen wurde.«
    Ist dieser Laden Ihre neue Kirche?
    Er lacht und nickt. Sagt dann: »Vielleicht.«
    Vor Brunos Laden steht ein Zelt der Ärzte ohne Grenzen. Ebenfalls rechtschaffene Leute. Dies ist eine Stadt der Rechtschaffenen, wie mir so langsam dämmert. Georg zum Beispiel, ein junger Mann, der Spendenabos an den Mann oder die Frau zu bringen versucht. Sie können die grenzenlosen Ärzte beispielsweise dazu ermächtigen, monatlich zehn oder 160 Euro von Ihrem Konto abzubuchen. Jobst verkauft Ihnen die Ewigkeit bei Gott, Georg die Rechtschaffenheit unter Menschen. Und die Tübinger kaufen.
    Wieviel zahlt man Ihnen dafür, daß Sie hier stehen, Georg?
    »Ich mache das, weil ich daran glaube!«
    Wieviel, Mann? Gib mir eine Zahl!
    »550 Euro die Woche.«
    Da heute,

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