Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
leben? frage ich mich. Und warum denken nicht mehr Deutsche wie er? Warum denken nicht mehr Amerikaner wie Deutsche? Wir alle halten uns für eigenständige Denker, aber ist dem auch so? Wie kommt es, daß ich nie einen Günther getroffen habe, der solche Ansichten äußert wie Abdul?
Manchmal ist die Realität einfach zu kompliziert. Vielleicht sollte ich mir einen Opernbesuch gönnen. In der Oper Frankfurt wird heute abend Daphne von Richard Strauss gegeben.
Der Japaner, neben dem ich sitze, fragt mich, ob ich eine Rezension über die Aufführung schreibe.
Dieses Frankfurt ist voller Spione.
In Daphne geht es um das Thema Liebe und Tod, wie auf so vielen Bühnen in diesem großen Land. Die Musik ist majestätisch und die Besetzung vom Feinsten, nur daß die schauspielerischen Bemühungen der Sängerinnen und Sänger so gar nicht überzeugen. Alles in allem aber ist es ein toller Abend.
Ich kehre in mein Besser-als-die-CIA-Hotel zurück. Auf meinem Kopfkissen liegen ein Stück Schokolade sowie ein Blatt mit einer Gutenachtgeschichte. Wir kriegen jeden Abend eine neue. Wir. Die Mitglieder des Clubs. Mein eigener kleiner Verein .
Nur ein kleiner Rat für euch, meine lieben Vereinsmitglieder: Wenn ihr in diesem Hotel nächtigt, dann treibt es nicht allzu wild. Verratet niemandem, daß ich es euch gesteckt habe, aber: An den Betten, den fabelhaften Betten, sind unten Räderangebracht. Wenn ihr euch ein bißchen zu ungehobelt benehmt, findet ihr euch am nächsten Morgen in einem anderen Land wieder. Wenn ihr also euren Reisepaß nicht dabeihabt, verhaltet euch lieber ruhig und bleibt hier.
Und laßt euch das Frühstück nicht entgehen.
Das herrliche Frühstück, das ich just in diesem Moment genieße.
Ein Hotelangestellter, einer dieser CIA-Agenten, wendet sich mit den Worten an mich: »Da Sie Jude sind –«
Ich bin was?
»Man hat mir gesagt, daß Sie –«
Ach, ja …
» – und so, wie ich es auch mit Angehörigen der muslimischen Gemeinschaft halte, werde ich Ihnen keinen Speck servieren.«
Noch während er mir das mitteilt, versuche ich, so gut es eben geht, die Würste und alle anderen fragwürdigen Leckereien zu verbergen, die ich nur Minuten zuvor auf meinen Teller gehäuft habe. Ach, Jude zu sein ist schon ein schweres Los!
Es kann allerdings auch ganz amüsant sein. Manchmal zumindest.
Die nächsten zwei bis drei Stunden bin ich mit Essen und Trinken beschäftigt. Warum auch nicht? Das sind meine Turnübungen für heute, Gymnastik für die Kaumuskeln.
Nach meinem morgendlichen Workout treffe ich mich mit einem Frankfurter Finanzmann. Bank of America Merrill Lynch. So steht es auf der Karte. Klingt so einleuchtend wie Daimler Mercedes AG. Auf der Karte steht auch der Name dieses Bankiers, aber ich darf ihn noch nicht nennen, weil die Bank of America Merrill Lynch mein Interview erst genehmigen muß – was nichts anderes heißt, als daß drei verschiedene Abteilungen ihren Segen geben müssen. In der Zwischenzeit muß ich diesen Menschen mit einem Namen versehen, der nicht der seine ist. Nennen wir ihn also George.
George wurde nicht in diesem Land geboren. Vor vielen Jahren ging er ins Bankgeschäft und ist heute einer der Topleute von BOA ML. Nicht ganz oben in der Hierarchie, aber fast. Wenn er wollte, könnte er das stattliche Haus auf der anderen Straßenseite kaufen. Er braucht es aber nicht. Nicht heute.
Was macht für Sie das Leben aus?
»Kennen Sie Thomas Mann? Auch er hat diese Frage gestellt …«
Sie können origineller sein, oder?
»Ich weiche Ihrer Frage aus, nicht wahr?«
Ja, das tun Sie. Was macht für Sie das Leben aus?
»Als Banker?«
Fangen wir damit an.
»Meine Arbeit ist wichtig. Sie nimmt den Großteil meiner Zeit in Anspruch. Wochenenden eingeschlossen. Es ist ein kompliziertes Geschäft. Es herrscht enormer Wettbewerbsdruck; es ist hart, aber interessant.«
Was ist das Ziel? Geld zu verdienen?
»Nein.«
Was ist es dann?
»Spaß zu haben.«
Am Wochenende zu arbeiten macht Spaß?
»Von den anderen Dingen habe ich Ihnen ja noch gar nichts erzählt.«
Ich bin ganz Ohr.
»Gestern hatten wir eine Party auf dem Flughafen – wir fuhren einen Riesenlaster mit einer Schaufel vorne dran –,und ich traf eine Menge Leute, die ich kenne und mag. Vergangenes Wochenende besuchten mich Freunde aus dem Ausland, Freunde, die ich seit Jahrzehnten nicht gesehen hatte. Heute abend gehe ich Golf spielen. Nächste Woche angeln, fliegenfischen, um genau zu sein. Wenn ich
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