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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuvia Tenenbom
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wurde und China den Zweiten Weltkrieg beendete
    Der erste, dem ich in Frankfurt begegne, ist Hikmet. Kennen Sie Hikmet? Hikmet ist Taxifahrer. Gerne würde er heute nachmittag zum Public Viewing des Spiels Deutschland gegen Serbien gehen. Kann er aber leider nicht. Heute ist Freitag, Hikmet muß in die Moschee. Am Tag Allahs möchte Hikmet lieber bei Allah sein. Allah kann mehr für einen tun als die FIFA.
    »Wir haben eine schöne große Moschee in Frankfurt«, erzählt Hikmet. »Einschließlich Minarett«, fügt er mit einem Lächeln hinzu, in Anspielung auf das Schweizer Minarettverbot.
    Noch zwei Jahre, verspricht mir Hikmet, dann geht er mit seiner Frau zurück in die Türkei.
    Trägt Ihre Frau einen Hijab? frage ich meinen neuen Freund hienieden.
    »Ja, tut sie.«
    Ihre Mutter auch?
    »Ja, sie auch.«
    Und auch eine Burka? frage ich. Keine Ahnung, warum mich dieses Burkathema immer wieder umtreibt.
    »Nein, keine Burka.«
    Und Ihre Frau?
    »Meine Frau?«
    Burka?
    »Nein.«
    Warum nicht?
    »Das ist nicht Teil unserer Religion!«
    Wie meinen Sie?
    »Es steht nicht im Koran.«
    Und der Hijab?
    »Der Hijab?«
    Steht der im Koran?
    »Sie meinen –?«
    Wo im Koran steht das Wort Hijab ? Haben Sie es mit eigenen Augen gesehen?
    Hikmet starrt mich an, Frankfurts neuen Imam.
    »Sie kennen den Koran?«
    Ja, antwortet Imam Tuvia.
    »Es steht nicht drin, stimmt.«
    Er lacht. Jetzt ist es eine Sache zwischen Muslimen. Zwischen Männern. Steht drin, steht nicht drin, wen juckt’s? Wir Männer tragen sowieso keinen. Wir lachen drüber. Wir verstehen uns. Ich verabschiede mich von Hikmet, ich möchte jetzt einen Juden treffen. Nur, um so unparteiisch zu sein wie die EU. Man soll sich ja den örtlichen Gepflogenheiten anpassen.
    Mein Jude für heute ist Roman Haller, Direktor der »Claims Conference Nachfolgeorganisation« in Frankfurt.
    Worum geht es bei der Nachfolgeorganisation?
    »Geldeingänge«, erzählt er mir. Das ist klar und deutlich. Zweck dieser Organisation ist es, Besitztümer aufzuspüren, die vor dem Zweiten Weltkrieg in jüdischer Hand waren, und sie zurückzufordern.
    Er stellt sich vor:
    »Ich wurde in Polen geboren, bin aber kein Pole, weil ich Polen schon als Baby verließ. Es ist mir aufgrund dessen, was meiner Familie hier widerfahren ist, unmöglich, mich als Deutscher zu bezeichnen. Was bin ich? Ich bin ein Münchner. Ich bin ein Bayer, das kann ich sagen. Ich bin ein Jude und ich bin ein Bayer.«
    Ich frage Roman, wieviel Geld die Firma Daimler für ihr Verhalten im Zweiten Weltkrieg ausgezahlt hat und in welchem Jahr das geschah. Er kann es für mich nachschauen, sagt er, aber: »Soweit ich weiß, waren nur 15 Prozent der Zwangsarbeiter bei Daimler Juden. Alle Welt schrie, daß die Juden Geld fordern, aber das meiste ging an Nichtjuden.«
    In der Claims Conference hier, sagt er mir, »haben wir es nur mit Vermögenswerten zu tun. Und die jüdischen Besitztümer müssen in jüdische Hände. Basta.«
    Was ist mit Ansprüchen, die nichts mit Besitz zu tun haben? Sollen sie weiterhin geltend gemacht werden, wie es gegenwärtig der Fall ist, oder eher nicht? Roman Haller würde diese Frage gerne beantworten, vorausgesetzt, daß ich aufhöre mitzuschreiben. Ich höre auf und er redet. Was er im folgenden sagt, ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.
    Alles in allem, verrät er mir, als ich aufbreche, »gibt es heute in Deutschland weniger Antisemitismus als in den USA«. Freut mich zu hören. Ich habe den permanenten Antisemitismus, unter dem ich in den vergangenen 30 Jahren in New York zu leiden hatte, mit Ach und Krach überlebt und empfinde es als eine tolle Neuigkeit, daß die Situation in Deutschland besser ist.
    Draußen vor seinem Büro machen sich lautstarke Gruppen von Leuten – oder Vereine – bereit. Es ist Zeit für einen weiteren deutschen Sieg. Ja, dies ist ein Verein . Gewissermaßen. Dieselbe Grundidee. Menschen, die die Spiele in einer Gruppe sehen wollen. Zu Hause zu sitzen und fernzusehen, dasselbeProgramm zur selben Zeit, reicht nicht. Wir müssen die Spiele zusammen mit anderen Deutschen sehen, vielen Deutschen. Wir alle zusammen.
    An einem Spieltag durch Frankfurts Straßen zu gehen, erfordert Übung. Es ist ein Sport für sich. Man muß sich durch die Menschenmassen lavieren. Aufgeregt sind sie, die Leute. Vor allem in der Nähe von Public-Viewing-Bereichen wie am Roßmarkt.
    Abertausende von Zweibeinern, viele von ihnen mit deutschen Fahnen, stehen in den Startlöchern.

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