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Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)

Titel: Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tuvia Tenenbom
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Freizeit habe, gönne ich mir einen halben Tag zum Angeln; es gibt nichts Schöneres! Dann gehe ich auch gerne in die Oper. Musik ist mir sehr wichtig. Literatur ist mir sehr wichtig. Und all das ist eingerahmt von meiner Arbeit. Man braucht Geld, um diesen Lebensstil zu finanzieren.«
    Sie haben genügend Geld, um diesen Lebensstil beizubehalten, auch wenn Sie Ihren Job in diesem Augenblick an den Nagel hängen. Oder?
    »Ja.«
    Was also ist das neue Ziel?
    »Das primäre Ziel besteht darin, Geld für die Shareholder zu verdienen.«
    Lassen Sie mich die Frage anders stellen. Was ist Ihr innerer Antrieb?
    »JPMorgan zu schlagen.«
    Was??
    »Sie sind die Besten, und wir wollen sie schlagen. Nummer eins werden.«
    Darum geht es?
    »Bis wir sie geschlagen haben. Dann sehen wir weiter.«
    Okay. Lassen wir die Unternehmen für den Moment beiseite. Sprechen wir über Sie. Sie haben eine Menge Geld verdient, oder?
    »Ja.«
    Und Sie wollen noch mehr?
    »Ja.«
    Wieviel Geld ist genug? Wann heißt es, jetzt ist’s genug? Wann werden Sie sagen: Ich habe genug?
    »Sie stellen mir da eine schwierige Frage.«
    Wann wird »George« sagen: Genug!?
    »Das werde ich Ihnen nicht verraten.«
    Sind Sie nicht Millionär?
    »Doch. Ich bin Millionär, aber es gibt Millionen Millionäre. Ich brauche Geld für dieses und jenes. Für meine Familie. Für Verwandte, die ich unterstützen will.«
    Ich bin mir sicher, Sie haben schon genügend Geld für diese Zwecke beiseite gelegt. Haben Sie doch, oder?
    »Ja.«
    Also, was ist das neue Ziel? Warum weiterarbeiten?
    »Ich würde gerne eine neue Sprache lernen. Und ich würde gerne auf die Universität gehen und Musik studieren.«
    Kaum zu glauben, was dieser Mensch da sagt. Können Sie das glauben? Darum bin ich kein Millionär; ich kann auf Fragen nicht antworten wie George. Ein ganzes Semester kostet 500 Euro, und dieser Millionär erzählt mir, er müsse weiterarbeiten, um sich die Studiengebühren leisten zu können. Das gefällt mir!
    »Wie viele Menschen arbeiten unter Ihnen?«
    »Nicht einer.«
    Man täusche sich nicht. George ist nicht Pförtner bei der Bank of America Merrill Lynch.
    »In meiner Position haben Sie keine Beschäftigten unter sich. Ihre Beschäftigten sind virtuell. In meiner Position haben Sie Kunden. Sie treffen die Kunden, dann stellen Sie Teams zusammen.«
    Wer sind Ihre Kunden?
    »Siemens, Lufthansa.«
    Sie sind also eine große Nummer. Sie machen haufenweise Geld.
    »Stimmt.«
    Und Sie wollen mir nicht verraten, bei welcher Summe Sie sagen, jetzt ist’s genug?
    »Nein.«
    Noch ist es nicht genug?
    »Noch nicht.«
    Auch der Emir von Katar hängt sich noch rein. Der hat auch noch nicht genug. Noch nicht. Er nicht und Sie nicht.
    George lacht wie ein Kind, das man dabei ertappt hat, wie es heimlich eine verbotene Frucht ißt. Er zeigt auf ein Fahrrad auf der gegenüberliegenden Straßenseite. »Sehen Sie das? Das ist mein Porsche.«
    O Sie armer Mensch. Haben Sie denn kein Auto?
    »Nein.«
    Wirklich nicht?
    »Wirklich nicht.«
    Und Ihre Frau?
    George lacht. »Na ja, sie hat einen Mercedes, aber nur einen kleinen ...«
    Einen Versuch war’s wert. Was hat er auch schon zu verlieren? Gehört mit zum Spiel.
    George muß jetzt gehen. Es ist Sonntagnachmittag, und er muß an einem Corporate Meeting teilnehmen.
    »Also Daphne haben Sie sich gestern abend angesehen«, sagt George, bevor er sich verabschiedet. »Er hatte eine fragwürdige Vergangenheit«, merkt er an, womit er Strauss meint, den Mann, der Joseph Goebbels einmal ein Lied widmete, während er gleichzeitig alles versuchte, um seine jüdische Schwiegertochter zu beschützen.
    Und ich dachte, ich könnte mich heute einmal von Juden und Nazis erholen.
    George aber mußte diese beiden Fliegen mit einer Klappe für mich schlagen.
    So ist das eben, wenn man an einem Sonntag einen Bankier in Frankfurt am Main trifft.
    Er bricht auf, ich auch. Er bricht zu seiner Besprechung auf. Ich zum Roßmarkt.
    Italien gegen Neuseeland. Keine deutschen Flaggen heute, tut mir leid. Das Spiel endet 1:1, und ich gehe zu einem McDonald’s. Ich bestelle mir ein Menü und einen Latte und setze mich nach draußen, um mein Vier-Euro-Mahl zu verspeisen.
    Ein Mann am Nebentisch, der offensichtlich ein Redebedürfnis hat, spricht mich an. Er heißt Herr Kraus und verreist gerne. Das ist sein Hobby. Er wurde 1936 in Berlin geboren und kann sich nicht entsinnen, jemals einen SS-Mann oder ein Mitglied der Gestapo gesehen zu haben. »Ich bin im

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