Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
daß ich von ihnen verlangen würde, es zu entfernen, ich aber sagte: ›Ist doch toll.‹ Wenn Sie aus dem Haus und dort entlanggehen, dann sehen Sie mich da. Das bin ich. Mein Gesicht und alles. Aber ich sage immer: ›Es ist ein großartiges Kunstwerk, aber es zeigt nicht mich, es zeigt ihren Rechtsanwalt.‹ Das hat sie verrückt gemacht. Sie sagten: ›Das ist nicht unser Anwalt.‹ Da sagte ich: ›Es ist ein linker Kolumnist von der Berliner Zeitung .‹ Und dann hatten sie eine Riesendiskussion, weil sie ja feministisch sind. Die Chefredakteurin war damals neu, und sie verkündete öffentlich in der Zeitung, daß sie ihr Fahrrad nicht für die nächsten zwei Jahre unter dem Penis von Kai Diekmann abstellen wolle. Daraufhin brachten wir heimlich eine Zeitung mit der Schlagzeile Wir sind Schwanz! heraus – im Stil der taz , im gleichen Layout –, in der wir dafür eintraten, daß das Mauerrelief erhalten bleiben muß. Und jeder dachte, das sei die echte taz . Wir hatten eine Menge Spaß!«
Kai ist nicht der Mann, der sich nach einer Niederlage in den Schmollwinkel zurückzieht.
»Als die taz vor vier Jahren 25 wurde, bat sie ihre Busenfeinde, ihre Jubiläumsausgabe zu produzieren. Sie baten mich, für einen Tag ihren Chefredakteur zu spielen. Das tat ich. Und noch heute ist diese eine Ausgabe die mit der höchsten Auflage in der Geschichte der taz . Als sie 30 wurden, begingen sie den Fehler, auch mir einen Brief zu schicken, densie an viele andere geschickt hatten, und in dem sie mir die Möglichkeit anboten, ihrer Genossenschaft beizutreten.«
Kai nahm an. Und hat seinen Spaß damit! Er besucht ihre Jahresversammlungen und stellt dämliche Fragen. »Ich amüsiere mich prächtig.«
Auch ich amüsiere mich. Er und ich, wir verstehen uns.
Er steht auf, holt sein iPad und sein iPhone, setzt sich neben mich und zeigt mir die morgige Ausgabe. Sein iPad ist übrigens das glänzendste und sauberste, das ich je gesehen habe. Noch nagelneuer kriegt man es auch von Apple nicht.
Wir beginnen mit der Titelseite. Auf seinem Apple erscheint die Seite eins nach jetzigem Stand. Ihre Aufmachung und Anmutung gefallen ihm nicht. Noch nicht einmal die verwendeten Schrifttypen gefallen ihm. Und warum nicht?
»Das wirkt altmodisch«, sagt er. Es fehlt das Neue. Wir brauchen etwas anderes. So wird das nicht in Druck gehen; die Seite muß geändert werden. »Es gibt nur drei Leute, die die Zeitung machen dürfen, meine beiden Stellvertreter und ich. Ich bin von neun Uhr morgens an hier und leite alle Konferenzen. Ich treffe die Bildauswahl.«
Ich stehe auf, bedanke mich bei dem nichtjüdischen Judenfreund Kai Diekmann für seine Zeit und sage ihm, daß es mir ein Vergnügen war, mich mit ihm zu unterhalten. Er wirft mir einen Blick zu und sagt: »Sie sind aber kein Jude, hm?« Er meint das nicht böse, er ist nur immer noch entsetzt über die Kommentare, die ich vorhin von mir gegeben habe. Bevor ich gehe, werfe ich diesem Judenfreund einen Blick zu und »sortiere« ihn ein, speichere ihn in meinem Kopf respektvoll als »Jüdische Braut« ( Jewish bride ) ab. Gewiß, »Jüdischer Bräutigam« ( Jewish groom ) wäre wohl die treffendere Bezeichnung. Sie ist aber Gott vorbehalten.
Ich muß zugeben, Kai hat mich überrascht. Nach dem, wasmir so manch einer erzählt hatte, war ich auf einen Tyrannen gefaßt. Statt dessen begegnete ich einem Überzeugungstäter. Einem Mann, der tut, was er für richtig hält. Wir dürften nicht immer einer Meinung sein – wo Kai einen großartigen Juden sieht, sehe ich einen potentiellen Nazi, und wo er Bikinis sieht, sehe ich Hijabs –, aber er orientiert sich an Idealen und sagt, was er denkt. Das respektiere ich.
Habe ich erreicht, was ich erreichen wollte, nämlich mir einen Reim auf den deutschen Nationalcharakter zu machen? Nein. Kai beeinflußt vielleicht zwölf Millionen Männer und Frauen in diesem Land, er ist aber eine Nummer für sich. Ein Mann mit einem großen Penis auf einer Berliner Mauer und einer noch größeren Liebe zu den Juden im Herzen. Darin unterscheidet er sich vom normalen Deutschen, jedenfalls von dem, den ich bislang kennengelernt habe.
Vielleicht habe ich bislang aber auch einfach Pech gehabt und die ›falschen‹ Deutschen kennengelernt, und in Wirklichkeit sind die Deutschen gut, vielleicht sogar sehr gut? Könnte ja sein.
Etwas ratlos gehe ich in ein Restaurant inmitten von Berlin und lasse mir das ausgezeichnete Essen schmecken. Plötzlich bemerke ich,
Weitere Kostenlose Bücher