Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters
anstellten: Sie opferten für die Erziehung ihrer Kinder sogar ihre eigene Muttersprache! Ich kenne Fälle, in denen – auch wenn Mama und Papa beide deutschsprachig sind – daheim auch Französisch oder Spanisch mit den Kindern gesprochen wird, damit sie frühzeitig auf den polyglotten Weg kommen. Und längst erwarten Eltern, dass in den Kindergärten erste Englisch-Kurse angeboten werden, und geradezu beglückt sind sie, wenn dort die Praktikantin im Anerkennungsjahr ihre schulischen Italienisch-Kenntnisse nutzt, um Fünfjährige rechtzeitig fit für das Dolce Vita zu machen.
Immer mehr, immer früher, immer anspruchsvoller! Nach meiner Beobachtung sind die Eltern inzwischen ganz huschig geworden, weil sie permanent von der Frage umgetrieben werden, ob sie wirklich genug machen für die frühkindliche Bildung. Ich selbst kam zwischenzeitlich ins Wanken, als ich in einem der ganz wenigen ruhigen Momente den Wochenendteil der »Süddeutschen Zeitung« in den Händen hielt (jetzt bin ich doch ertappt …). In einem Artikel ging es um den Sprach- und also auch Fremdsprachenerwerb von Kleinkindern. »Auch die erste Fremdsprache schon in der Kinderkrippe«, so las ich dort erstaunt, »halten Fachleute für empfehlenswert.« Umgehend hatte ich ein schlechtes Gewissen, denn einer unserer Söhne war in seiner Krippe mit seinen wirklich liebenswürdigen Erzieherinnen hinsichtlich seiner Bildung nahezu ausschließlich mit der Geschichte von der kleinen Raupe Nimmersatt beschäftigt, in der meines Wissens nur ein einziges Fremdwort vorkommt, nämlich der »Kokon«, aus dem schließlich der wunderhübsche Schmetterling schlüpft. Das war eindeutig zu wenig!
Schon im zarten Alter von vier Monaten sind Kinder in der Lage, Grammatik zu lernen, erfuhr ich aus dem Zeitungsartikel weiter (toll, denn viele Erwachsene sind dazu praktisch nie in der Lage). Das erstaunliche Ergebnis habe eine Studie des – jetzt kommt es – Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig erbracht. »Die Sätze gingen nicht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus«, freute sich eine Frau Mueller von eben diesem Institut (diese gedankliche Barrierefreiheit scheint sich also erst in späteren Jahren sukzessive aufzubauen). Kleinkinder hätten deshalb ein so enormes Lernvermögen, weil ihr Gehirn noch nicht genug entwickelt sei, genauer: Der präfrontale Cortex, der für die Kontrollprozesse zuständig ist, sei noch nicht sehr ausgeprägt. Hier liegt nach Einschätzung der Leipziger Studie die große Chance: »Kinder können also durch Assoziation Verknüpfungen erstellen, ohne dass ihnen dauernd der Kontroll-Cortex dazwischenfunkt.«
Als ich diese Stelle das erste Mal las, hatte ich ein wenig Kopfschmerzen (vermutlich ist mein Cortex gerade wieder einmal auf der Suche nach seiner inneren Mitte). Aber wenn ich die Leipziger richtig verstanden habe, klappt das Lernen bei den Kleinkindern deshalb so gut, weil sie den Erwachsenen mangels eigener Kontrollchancen schlicht – pardon – jeden Mist glauben. Etwa Spanisch in Leipzig oder Französisch in Hamburg. Wer dieser Logik folgt, ist dem Wesen der frühkindlichen Bildung zu einem guten Teil auf die Spur gekommen: Nutzen wir die Gutgläubigkeit der Kleinen, solange sie noch glauben, was wir ihnen erzählen. Und da muss es gar nicht nur um Sprache gehen, denken wir an die vielversprechenden Themen aus Kultur oder Politik. Was ist da alles möglich, wenn wir nur früh genug handeln!
Als vorbildliche (zweifache) Mutter präsentiert sich etwa Anne-Sophie Mutter, die für die Förderung in Vorschulen und Kindergärten plädiert. Ihr Sohn sei schließlich ein guter Pianist, und ihre Tochter habe immerhin eine Affinität zur bildenden Kunst. »Mit beiden Kindern bin ich früh in Museen gegangen«, erzählt Mutter und ermutigt dazu, Kunst auch im wahrsten Sinne des Wortes zu erfassen: »Richard, mein Sohn, war gerade mal fünf Jahre, als er mit Begeisterung den nackten Hintern einer Bronzestatue im Münchener Lenbachhaus tätschelte.« Nun verfügt nicht jedes Kind über diese herausragenden Bildungschancen (und über solchen auf den ersten Blick treffsicheren Kunstgeschmack). Einfachere Naturen müssen sich mit Naheliegenderem wie dem Unterschichtenfernsehen begnügen. Moderator Kai Pflaume etwa lässt seine Kinder Nachrichtensendungen schauen. »Auch ein Zehnjähriger sollte wissen, wer die Bundeskanzlerin ist, und nicht nur, wer in der DSDS -Jury sitzt«, erklärte der
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