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Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters

Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters

Titel: Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tillmann Bendikowski
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Punkten zu attackieren: Ich spreche von den elterlichen Forderungen nach Schnelligkeit und Leistungsbereitschaft (beides gehört in unserer Leistungsgesellschaft untrennbar zusammen – der langsame Faule hat hier bekanntlich kein Zuhause).
    Was, wenn zunehmend Kinder mit der Entdeckung der demonstrativen Langsamkeit ihren höchst eigenen Terroranschlag auf unseren Gesellschaftsentwurf unternähmen? Wenn feste Schulstunden plötzlich ignoriert würden? Wenn die Züge einträfen und führen, wann es ihnen beliebt? (Entschuldigung, schlechtes Beispiel, das tun sie ja längst.) Wenn niemand mehr pünktlich zum Essen käme und meine leckeren Sojawürstchen traurig erkalteten und langsam schrumpelig würden? »Fertig!«, triumphiert der Schnürsenkel-Kämpfer und reißt mich aus meinen Gedanken; erleichtert brechen wir zum Kindergarten auf. Dort beobachtete ich unlängst eine Mutter, die ihren Sohn beim Anziehen belehrte: »Nicht labern, machen!« Das ist doch hübsch gesagt – und trifft den Kern unseres Problems.
    Apropos Zeit und Kindergarten: Von den olympischen Sommerspielen einmal abgesehen kann man zu keinem Zeitpunkt wohl mehr Frauen in der Öffentlichkeit laufen sehen als beim morgendlichen Weg zum Kindergarten. »Na, das wird wohl nichts mehr mit dem Stuhlkreis, was?«, möchte man den Sprintenden gerne hinterherrufen, tut es aber selbstverständlich nicht, weil das erstens ziemlich ungezogen wäre und weil sie einem zweitens auch ein bisschen leidtun. Schließlich weiß man nur zu gut, dass dem Gehetze daheim sicherlich eine Menge Diskussionen um schnelleres Zähneputzen, Haarekämmen oder Schuheanziehen vorausgegangen sein dürfte. Außerdem werden einem in solchen Momenten bekanntlich die Größe der alltäglichen Erziehungsprobleme und damit die eigene Hilflosigkeit deutlich. Schön, wenn niemand unsere elterliche Kleinheit an dieser Stelle bemerkt, aber schlimm die Vorstellung, jemand würde dieses Erziehungsgerede hören und archivieren: Wie peinlich wäre das denn, wenn es draußen im Universum intelligentes Leben gäbe, das für wenige Sekunden die Chance hätte, einen ausgewählten Blick auf die Menschheit zu werfen – und dann sehen und hören sie mich, wie ich meinem Sohn vor dem Kindergarten zurufe: »Heute noch?« Da würde auch Augustinus wahrscheinlich nur noch stammeln …

WAS HABEN WIR GELACHT! DIE VEREINBARKEIT VON FAMILIE UND BERUF
    Einige Monate bevor mein Ältester eingeschult wurde, erhielt ich einen Brief vom zuständigen Bezirksamt: Wir möchten doch bitte mit dem Knaben zur schulärztlichen Untersuchung erscheinen (in der Anlage fand sich übrigens praktischerweise gleich eine Kopie mit dem einschlägigen Passus aus dem Schulgesetz, wonach die Eltern bei Androhung einer Ordnungsstrafe zur Vorstellung des Kindes verpflichtet sind). Es handelte sich also nicht um einen Sonntagsausflug, sondern um eine Anordnung meines Staates; gut eine Stunde würde das Procedere in Anspruch nehmen. Selbstredend wollte ich meinen Pflichten als treuer Staatsbürger nachkommen, doch der gesetzte Termin erschien mir unpassend, weil ich zu diesem Zeitpunkt noch die zwei kleineren Söhne zu betreuen hatte. Ich wählte die angegebene Telefonnummer und wollte von der angebotenen Möglichkeit Gebrauch machen, einen anderen Termin zu vereinbaren. Tatsächlich hatte ich die Ärztin direkt am Apparat und trug mein Anliegen vor; an zwei Nachmittagen hätte ich daheim eine Hilfe bei der Kinderbetreuung, dann könnte ich mit dem Einzuschulenden entspannter kommen. Das sei leider vollkommen ausgeschlossen, beschied die Ärztin vom Amt, »ich arbeite halbtags«. Und Schluss.
    Nach einem alten Sprichwort (das so alt ist, dass ich gar nicht mehr weiß, wo ich es gehört habe) ist der Mensch immer dann, wenn er sich über etwas wundert, auf ein Geheimnis gestoßen. Normalerweise hilft mir dieser Gedanke bei der Bewältigung alltäglicher Probleme, doch diesmal wollte es nicht so recht klappen. »Ja, und?«, fragte ich verblüfft zurück, »Was soll ich jetzt machen?« »Bringen Sie doch einfach die beiden kleinen Geschwister mit, das machen die anderen Mütter auch.« Und – schwupp – da waren gleich ein paar wunderhübsche geheimnisvolle Hinweise, die mein Leben wieder ein bisschen kniffeliger machen sollten. Dass ich mich gefälligst nicht so anstellen soll, hieß das wohl, und dass ich mich wie die anderen Mütter dem Unabwendbaren beugen soll. Befehl ist halt Befehl. Wollte ich etwa eine Extrawurst? Oder wollte ich

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