Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters
gewitzte Herr Papa.
Damit wären wir ausgehend vom großen Thema Fremdsprachenkenntnisse bei der Frage der alltäglichen Lebenstüchtigkeit angekommen. Denn beide Komplexe müssen miteinander in harmonischer Beziehung stehen, sonst bleibt das Leben unerfüllt. Einerseits ist der ein Depp, der keine Fremdsprache spricht (er kann dann höchstens für die FDP Bundesaußenminister werden, aber wer wünscht sich das schon für seine Kinder?). Andererseits blamiert sich auch der, der die tollsten Sprachen spricht, sich aber in entscheidenden Momenten des Alltags einfach zu blöd anstellt. Auch daran erinnert uns der eingangs zitierte Film »Ein Fisch namens Wanda«: Das so sorgsam und leidenschaftlich vorbereitete Schäferstündchen zwischen Archie und Wanda wurde denn doch noch abrupt unterbrochen, weil die eigentlichen Mieter der dafür ausgewählten Wohnung ebenso überraschend wie unpassend in der Tür standen. Archie hatte halt schlecht recherchiert und von den neuen Bewohnern nichts gewusst. Vielleicht hat er auch nur eine Notiz seines Büros nicht oder unzureichend gelesen. Dann wäre er womöglich das Opfer einer Überdosis frühkindlicher Bildung, weil ihn seine Eltern zu früh mit fremden Sprachen penetriert haben, so dass er in seiner eigenen Muttersprache komplexe Planungen nicht mehr bewältigt. Wenn ich mal wieder Zeit habe, werde ich die Zeitung beiseitelegen und meine Beobachtung mit diesen Kognitionsfreunden aus Leipzig besprechen …
»HEUTE NOCH?«
Verbindlichkeit ist bekanntlich das Salz in der Suppe der Kindererziehung. Gerade deshalb fragt man sich natürlich, weshalb in Deutschland morgens um acht nicht die Mütter die Kindergärten bevölkern und an der gesunden Rohkost knabbern, während ihre Süßen gemütlich daheim sitzen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Denn noch keine Stunde zuvor war das Land erfüllt von donnernden Sätzen wie diesen: »Also i c h fahre jetzt in den Kindergarten, d u kannst ja hierbleiben.« Diese Ankündigung gibt es selbstverständlich in höchst unterschiedlichen Variationen – die Bandbreite reicht hier von dem heuchlerisch hingehauchten »Tschü-ü-ß!« bis hin zur unverhohlenen Drohung »Okay, mach, was du willst, aber dann musst du den ganzen Tag hier ganz alleine im Haus bleiben – ach ja, bevor ist es vergess: Lass bloß die Räuber nicht rein!«
Hinter solchen und anderen Perlen der intergenerativen Kommunikation verbirgt sich weniger das Problem des Umgangs mit Sprache (genauer mit sprachlichen Drohungen – um noch einmal auf Loreley und ihre Schwestern zurückzukommen. Vielleicht sollte man die Abschiedsdrohung einfach mal singen: »Alle Kinder groß und klein, bleiben jetzt allein daheim …«) als vielmehr das Problem des Umgangs mit der Zeit überhaupt. Deshalb sollten wir mit Müttern wie Kindern nachsichtig umgehen, schließlich zählt dieses Problem zu den wahrhaft großen Fragen der Menschheitsgeschichte. Schon der gute alte Kirchenvater Augustinus sah sich allein mit der Beschreibung des Phänomens bereits überfordert. Als der gefragt wurde, was Zeit nun eigentlich sei, antwortete er: »Wenn mich niemand fragt, weiß ich es, wenn ich es jemandem erklären will, weiß ich es nicht.«). Wenn es denn so kompliziert ist, wie können wir da von einem Fünfjährigen oder seiner Mutter eine Souveränität erwarten, die die Menschheit in Tausenden von Jahren noch immer nicht an den Tag legen kann? Aber es hilft nichts: Mag der gute Augustinus ruhig noch nachdenken, wir müssen die Kleinen schließlich nicht nur irgendwie, sondern auch noch möglichst pünktlich in den Kindergarten oder die Schule schicken. Also jetzt aber zügig.
Als mein Ältester mich eines Morgens wieder lustvoll auf die Geduldsprobe stellte (selbstverständlich fällt dem jungen Herrn gerade beim Weggehen ein, dass er lieber die Schuhe mit den Schnürsenkeln anziehen will, um ganz in Ruhe die Schleifen zu binden), fiel ich in einem Akt der Notwehr für einen Moment in einen nahezu meditativen Zustand. Es mochte daran gelegen haben, dass ich am vorhergehenden Abend vor dem Einschlafen ein selten aufregendes Buch gelesen hatte, jedenfalls nistete sich in meinem Kopf der freche Gedanke ein, dass der gelassen Schleifen bindende Bursche einer geheimen Verbindung angehören könnte, die sich als eine Art neuzeitliche Kommunikationsguerilla versteht. Deren Mitglieder könnten sich doch auf die Fahne geschrieben haben, uns Erwachsene an unseren beiden zentralen wunden
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