Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters
Heißgetränk.
So dachte ich immer, aber das stimmt selbstverständlich alles nicht. In Wirklichkeit sind diese Mütter nur dazu da, die anderen zu ärgern, die jeden Tag fleißig ins Büro laufen (da sehen sie nämlich schon die ersten Mütter über ihrem Milchschaum sitzen), in ihren kurzen Pausen eilig ein belegtes Brötchen holen (da wird an den Tischen gerade geräuschvoll gestillt) und noch am Nachmittag durch das halb offene Bürofenster das laute Lachen amüsierter Mütter hören müssen. »Latte-Macchiato-Mütter« hatte sie einst Bascha Mika geschimpft, die ehemalige »taz«-Chefredakteurin (auf deren einschlägiges Buch wir später noch einmal in einem anderen Zusammenhang ausführlicher zu sprechen kommen). Sie musste in ihrem Leben sicher auch schon viel in Büros laufen. Wohl deshalb erboste sie sich über diese Frauen, die nur in den Cafés rumlungerten, es sich so gemütlich wie nur möglich machten und demonstrativ ihr augenscheinlich vorhandenes Geld ausgäben. Dabei ist es das Geld ihrer Männer, und das ärgert Frau Mika besonders, denn diese Mütter hätten es sich in einer regelrechten Komfortzone gemütlich gemacht, in der sie den Männern doch tatsächlich seelenruhig die Rolle des Geldverdieners überlassen und demonstrativ ein traditionelles Frauenbild aus- und vorlebten.
»Genau«, möchte man da rufen. »Erhebt euch, ihr faulen Mütter mit den dicken Geldbeuteln! Ihr habt nichts zu verlieren außer eurer Komfortzone und dem täglichen Latte Macchiato!« Aber ich zögere. Warum genau sollen die Mütter jetzt an die Arbeit gehen? Sollen sie wieder in Munitionsfabriken (wieder muss ich an Brüderle und Rösler denken)? Ist wieder Krieg? Sollen die Schicksen einfach nur mal sehen, was es heißt, sein eigenes Geld zu verdienen? Oder geht es nur darum, dass die Mütter endlich modern sein und sich verdammt noch mal der politischen Dimension ihrer geschlechtsspezifischen Benachteiligung bewusst werden sollen? »Geht gefälligst an die Arbeit!« Männer vernachlässigen ihren Beruf nicht, ruft ihnen noch Bascha Mika hinterher, Frauen tun es massenhaft.
Meine Zweifel wachsen. Was, wenn doch die Mütter auf eine geheimnisvolle Art und Weise recht haben? Und nicht Bascha Mika und ich und vielleicht noch einige andere? Wenn es doch schlauer ist, einen gewissen Teil des Lebens in Cafés zu verbringen, statt sich in mehr oder weniger sinnvollen Bürojobs aufzureiben? (Es darf doch wohl mal gefragt werden, wie sinnvoll es denn ist, während der weltweiten Finanzkrise beispielsweise bei einer Sparkasse zu arbeiten. Oder in Zeiten wie diesen sein Redakteursdasein bei einer linken Tageszeitung zu fristen.) Ist nicht vielmehr Entschleunigung in unserer Zeit wieder in? Geht es nicht längst darum, individuelle Freiräume zu schaffen, um sich vom Tempo der Gegenwart nicht überrollen zu lassen? (Mir war so, als hätte ich Ähnliches unlängst in der »Zeit« gelesen, die ja zunehmend Lebensberatung sucht und bietet.) Und was ist mit der wechselseitigen Toleranz? Ja, ich gebe zu, ich sitze auch manchmal vormittags bei einem – allerdings koffeinhaltigen – Tässchen. Also: Was stört euch, wenn wir in unseren Cafés sitzen? Wir raunzen euch doch auch nicht ständig an, nur weil ihr in die Büros lauft? »Hey, ihr lohnabhängig Beschäftigten! Habt ihr es euch auch schön bequem gemacht in euren beheizten Büros, die ihr nicht bezahlen müsst? Bei tariflich geregelten Urlaubszeiten und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall?« Meckern wir etwa, nur weil ihr eure Arbeit macht? Wenn ihr wieder ein paar Milliarden in halbkriminelle Gasgeschäfte mit Russland steckt? Banken pleite gehen lasst oder nur stirnrunzelnd dabeisteht, wenn einige korrupte Systeme die Euro-Währung an den Rand der Existenz treiben? Na? Kein Wort. Ist das nicht eine Toleranz, von der ihr euch wenigstens mal ein kleines Stück abschneiden könntet?
Die hohe Kunst der Entschleunigung, so möchte man allen zurufen, die uns Mütter aus welchen Gründen auch immer in die Berufswelt zurückjagen wollen, hat doch wohl ihre Wurzeln in der Erziehung, wir sprachen ja schon an anderer Stelle über die Erziehung durch Vorbild. Also, wer könnte die Kleinen in so etwas wie die hohe Kunst des Herumlungerns denn einweisen – wenn nicht wir? Und dazu braucht es eben ein gelebtes, ja ein vorgelebtes Päuschen. Nicht nur hier und da, sondern regelmäßig. Die wirkliche Revolution (genau genommen: die Konterrevolution) unserer Arbeitswelt beginnt in solchen
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