Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters
Ende ich mich als verkleideter Piratenkapitän in einem verwilderten Grundstück in der Nachbarschaft verstecken musste, um die kleinen Seeräuber dem Anlass angemessen erschrecken zu können. Zugegebenermaßen hatte ich bei der Beschaffung der Verkleidung ein wenig geschlurrt, weshalb ich erst am Tag des Festes in den Keller steigen und nach passender Kostümierung suchen konnte. Leider hatten wir keinen Piratenkapitän im Fundus, weshalb ich mich notgedrungen für die Ausstattung einer spanischen Tänzerin entschied: Die schwarzen langen Haare standen mir ganz gut, und ein langes rotes Tuch war als wildes Stirnband auch nicht ohne Wirkung, sodass ein etwas zwickendes Bolero-Jäckchen und die schmerzhaft kleinen Stiefelchen sich ertragen ließen. Ich zog mir die dreckigste Jeans an, band mir noch einen alten Gürtel quer über die Brust, griff nach einem langen Stock und hockte mich hinter den Zaun des verwilderten Grundstücks. Ich wartete. Die Geburtstagsgesellschaft verspätete sich. Es nieselte. Und ich wartete immer noch. Dann machte ich probehalber schon einmal ein grimmiges Piratengesicht. Klappte gut. Dann noch grimmiger. Dann fing ich an, wüste Beschimpfungen von mir zu geben. Ach ja, ich musste ja betrunken sein – also lallte ich. Dann fluchte ich laut. Und dann ging eine ältere Dame vorbei. Sie schaute verängstigt. »Keine Angst«, lallte ich, »es ist nur ein Kindergeburtstag.« Ich knurrte, sie beschleunigte. Bald kamen die Kinder. Ich war erleichtert.
Es wurde wieder einmal ein tolles Fest, und froh gelaunt zogen die Gäste mit ihren obligatorischen Mitgebseln heim. Der Rest war wie immer: Nur wenige Augenblicke später, als sich der Abend mit seiner ihm eigenen majestätischen Stille über das eben noch so chaotische Haus gelegt hat, liegt auch das Geburtstagskind, nämlich in seinem Bett. Völlig geschafft. Und selig. Es lächelt noch mal, flüstert mit letzter Kraft »Das war sooo schön«, dann fallen ihm die Augen zu. Wer jetzt am Bettchen steht, hält ein Stück Glück in den Händen.
FRÜHER WAR MEHR LAMETTA
Gerade beim Thema Kindergeburtstag stellt sich für Mütter und Väter ja die Frage, ob sie den Ansprüchen des Kindes, seiner Freunde und überhaupt den Anforderungen unserer Zeit gerecht geworden sind – wir denken nur an die Mahnung der Kindergeburtstagsmacher, wonach moderne Kinder eben nach einem besonderen Event verlangen. Alles richtig gemacht? Was meinen die anderen Mütter? Sagt wenigstens eine hinterher, wie gut er war, der Kindergeburtstag nämlich? Solche Reaktionen sind nicht unwichtig, denn die zwischen Beruf, Familie und vielfältigsten Ansprüchen eingeklemmte Mutter wird in der Regel von einem eigentümlich schlechten Gewissen begleitet. So wie früher der Schatten der Ariel-Klementine, die immer fragte, ob die saubere Wäsche denn auch wirklich rein sei. Hast du wirklich genug für dein Kind getan? Wirklich alles? Oder liegt etwa ein Grauschleier über deinem Werk?
Hinter solchen Selbstzweifeln erhebt der alte Vorwurf der »Rabenmutter« sein grässliches Haupt: die lieblose Mutter, die sich nicht den Konventionen der Gesellschaft entsprechend um den Nachwuchs kümmert. Die – nennen wir es doch mal beim Namen – Schlampe, die sich selbst am wichtigsten ist und dafür die Kleinen vernachlässigt. Für Väter ist es von Vorteil, dass dieser Begriff nur in seiner weiblichen Form vorkommt. Den »Rabenvater« kennt zwar (wie ich überrascht feststellte) der Duden, aber im Alltag ist diese Formulierung fast nicht existent – das schlechte Gewissen ist zumindest in dieser Hinsicht weiblich. Hinter dem Vorwurf der Rabenmutter steht – was für den Historiker von besonderer Bedeutung ist – immer eine, wenngleich ungelenke, geschichtliche Analyse. Ihr Format sind die sogenannten »Früher«-Konstruktionen: »Früher wusste eine Mutter noch, was sie in einem solchen Fall zu tun hat.« Oder: »Früher hätte eine Mutter sich so etwas nicht getraut.«
Was genau nun früher eigentlich besser gewesen sein soll, hängt dann sehr vom jeweiligen kommunikativen Einzelfall ab. Ich kenne diese Vorwürfe noch aus meiner Schulzeit, in der unsere Lehrer unsere langen Haare entsprechend kommentierten: »Früher hätte es so was nicht gegeben«, einige – sagen wir mal vorsichtig – konservative Lehrkräfte empfahlen uns ganz in der Tradition von früher auch schon mal das gute alte Arbeitslager. Später im Zivildienst schleppte ich im Schweiße meines Angesichts so manch alten
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