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Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters

Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters

Titel: Allein unter Muettern - Erfahrungen eines furchtlosen Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tillmann Bendikowski
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übergewichtigen Mann aus der vierten Etage herunter, der mir dabei netterweise erklärte, dass es früher solche Drückeberger wie mich ja nicht gegeben hätte. Auf unser eigentliches Thema bezogen, kennen alle Mütter solche Früher-Konstruktionen wie »… waren die Kinder besser erzogen«, »… die Jungen nicht so frech«, »… die Mädchen ordentlicher angezogen (die kriegen doch einen Nierenschaden, wenn die so rumlaufen)«, und früher konnten selbstverständlich die Mütter noch kochen, und die Väter stellten sich natürlich ihrer Verantwortung (was das genau sein soll, wollen wir an dieser Stelle mal lieber nicht diskutieren).
    Bei der genaueren Betrachtung der Früher-Konstruktionen zeigt sich rasch, dass es zwischen Adressaten und Empfänger eigentlich immer ein Altersgefälle gibt: Der Hinweis auf diese einst doch besseren Zeiten (in denen Mütter eben noch wussten, wo sie hingehörten) kommt zumeist von den Älteren, und er richtet sich an die zu Belehrenden, die notwendigerweise die Jüngeren sind. Ich will an dieser Stelle bewusst nicht von Schwiegermüttern sprechen – davon muss ein eigenes Kapitel handeln –, sondern von all jenen, die uns an Lebensjahren und Erfahrung voraus sind. Wir wollen gerecht sein: Ihre Hinweise können für die junge Mutter fraglos gut und wichtig sein. Müssen sie aber nicht. Gerade dann nicht, wenn eine Früher-Belehrung auf offener Straße erteilt wird, gerne vor Publikum. Ich weiß, wovon ich rede. Mit Grausen erinnere ich mich an eine Szene, in der ich auf dem Bürgersteig eine ältere Dame auf einem Fahrrad anbrüllte, sie solle mich gefälligst in Ruhe lassen. Die Umstehenden schüttelten irritiert den Kopf. Sicherlich ein völlig überforderter Vater, das sieht man schon daran, dass das arme Wurm im Kinderwagen so weint. Armes Kind.
    Dabei hatte alles ganz friedlich begonnen: Ich hatte mich an einem klaren Wintervormittag mit unserem Erstgeborenen auf den Weg zum täglichen Parkspaziergang gemacht. Eigentlich eine schöne Sache, wenn alles gut geht. Der Ausgang wurde allerdings ab dem Moment ein wenig anstrengend, als mein Sohn erste Unmutsäußerungen von sich gab. Schließlich weinte er, mal brüllte er, immer wieder abwechselnd, mit gefühlten sehr kurzen Pausen dazwischen. Die erste Bemerkung kam von einer älteren Dame. »Na, was hat er denn?«, fragte sie mitfühlend. Ich wusste es beim besten Willen nicht, konnte es aber als gute Mutter (die ich gerade zu werden beschlossen hatte) nicht zugeben – »es ist der Bauch«. Ach so. Die nächste Seniorin war ebenfalls besorgt. »Tut ihm was weh?« »Drei-Monats-Koliken!« Nach weiteren Rückfragen und zahlreichen Variationen an Antworten waren es beim Kleinen inzwischen sogar die Zähne (da war er gerade einmal sechs Wochen alt, was bei den geübten Beobachtern sicherlich nicht dazu beitrug, sie von meiner mütterlichen Kompetenz zu überzeugen). Längst hatte ich den Heimweg eingeschlagen, als das Finale anhob: Ein Rentnerehepaar nahm sich unserer an. »Das Kleine hat sicherlich Hunger«, belehrte sie mich. »Der hat gerade gegessen«, log ich. Der Ehemann sekundierte: »Dem Kleinen ist sicher zu kalt.« »Das Kind friert nicht«, rief ich ihm deutlich zu laut zu. Die beiden schauten irritiert und fragten noch, ob es ein Junge oder ein Mädchen sei. »Das wüsste ich auch manchmal gerne«, schob ich davon.
    Fast hatte ich unser Heim erreicht, als die erwähnte ältere Dame auf dem Fahrrad unseren Weg kreuzte. Als hätte sie nur auf Vater und brüllendes Kind gewartet, zog sie zunächst die Augenbrauen hoch (früher müssen die Leute dieses vorwurfsvolle, stumme Hochziehen der Augenbrauen noch richtig gelernt haben, vermutlich war das zumindest in den Mädchenschulen kurz nach dem Krieg ein reguläres Schulfach). »Es ist un-ver-ant-wort-lich«, erklärte sie mir anschließend, »bei so einem Wetter das Kind ohne Handschuhe mit raus zu nehmen.« Andere Mütter werden verstehen, wie ich mich in diesem Moment fühlte. Ich war viel zu unsouverän, um ein nüchternes »Ja, Sie haben schon recht« zu murmeln, aber auch viel zu wenig emotional veranlagt, um in Tränen auszubrechen (»Sie ahnen ja gar nicht, was ich mit diesem Kind durchmache!«). So griff ich spontan zu der schlichtesten (weil männlichsten) aller möglichen Reaktionen und brüllte die Frau an, sie solle sich gefälligst um ihren eigenen … kümmern. Dann waren wir endlich daheim. Der Junge konnte was essen und sich aufwärmen, dann war alles

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