Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
er schon zwei Frauen, die sich um ihn kümmerten. »Warum setzt du dich nicht einfach in deinen Wagen und fährst nach Älmhult?«
Gunter tat so, als verstünde er Maries Einwand nicht. Schließlich ging es doch um Leben und Tod. Jedenfalls in seinen Augen. Marie verfluchte die Nacht, in der sie schwach geworden war und sich diesen Mann in ihr Bett geholt hatte.
»Die Polizei sucht nach mir.«
»Was?« Das wurde ja immer unglaublicher. Dass das Ministerium sie vor ihm warnte, das war eine Sache. Aber die Polizei? Was hatte die Polizei damit zu tun?
»Natürlich wissen sie, dass ich nach Schweden will. Wegen Pia. Sie wissen, dass meine Schwester Schwedin ist. Sie werden auf den Fähren auf einen allein reisenden Mann aus Berlin achten. Da ist es sicherer, ich sitze neben einer Frau im Wagen. Noch dazu mit einem schwedischen Kennzeichen. Oder willst du mich nach Älmhult bringen?«
So weit kam es noch. Als würde sich alles um Gunter Theobald drehen. »Was hast du verbrochen?«
Gunter schwieg.
»Ich meine, wir leben doch in einem Rechtsstaat. Da kann man doch nicht einfach einen Mann zur Fahndung ausschreiben, der nichts anderes getan hat, als in Afghanistan die Bundeswehr zu kritisieren …«
»Wir befinden uns im Krieg«, sagte Gunter. Er wirkte jetzt sehr ruhig, fast sachlich. »Und ich war Angehöriger der Bundeswehr. Ich war im Kampfgebiet stationiert.«
»Was hast du getan, Gunter?«
»Nichts, wofür ich mich schämen müsste.« Gunter seufzte. »Was ist jetzt? Kann ich bei dir unterkriechen, bis meine Schwester da ist?«
Marie tat es nicht nur aus Rücksicht auf ihr Kind. Es kam noch etwas hinzu: Der Ton störte sie gewaltig. Dieser anmaßende Ton eines ichbezogenen Menschen. Für Marie war dieser Ton schon Grund genug.
Deshalb legte sie auf.
13.
Marie hatte nie ein gutes Verhältnis zur Bundeswehr gehabt.
Als sie Karl kennengelernt hatte, war der schon Berufssoldat gewesen.
Das hatte zwar keinen Hinderungsgrund für Marie dargestellt, aber gefördert hatte es ihre Beziehung nicht gerade. Für Marie war die Bundeswehr eine überkommene und verkrustete Institution gewesen. Leute, die sich für lange Jahre ihres Lebens zum Wehrdienst verpflichtet hatten, waren zwar keine politischen Feindbilder mehr. Ihrer Meinung nach waren Berufssoldaten Menschen, die sich in einem Umfeld, in dem jeder für sich selbst verantwortlich war, nicht heimisch fühlten. Oder Menschen, die so schlecht qualifiziert waren, dass sie nur noch in der Bundeswehr Arbeit und Auskommen fanden.
Karl hatte sie nach und nach eines Besseren belehrt. Später schämte sich Marie sogar für ihre unreife Meinung über eine Institution, die sie durch Karl erst richtig kennengelernt hatte.
Karl zum Beispiel war zur Bundeswehr gegangen, weil er als Heranwachsender in einem Bundesland, in dem es keine Arbeit gab, wusste, dass es besser war, beim Militär mit Fleiß und Intelligenz etwas zu werden, als mit den gleichen Tugenden zu Hause zu sitzen und Däumchen zu drehen.
Zudem hatte er nicht unter den ideologischen Verirrungen gelitten, die Maries Denken und Fühlen lange bestimmt hatten. Für Karl, ein Kind des Ostens, war das Militär keine Bedrohung der Demokratie, sondern das genaue Gegenteil. Eines nämlich hatte er schon im DDR-Kinderhort gelernt: Ein Land, das sich etwas auf seine sozialen Errungenschaften und seinen Wohlstand einbildete, musste diese auch verteidigen können – sonst war das alles nicht viel wert. Und noch etwas: Eine vom Parlament geführte Bundeswehr hatte erhabenere Aufgaben als die Sicherung der Grenzen zu Nachbarn, mit denen man in jeder Hinsicht an einem Strang zog. So war Karl für den Einsatz der Bundeswehr im Kosovo eingetreten. In seinen Augen verhinderten deutsche Soldaten auf dem Balkan weitere Massenmorde. Damit hatte er auch Marie überzeugt.
Für sie war die Bundeswehr zwar immer noch kein Verein zur Hebung des Idealismus. Aber das hatte sie von Karl übernommen: Sie war ein pragmatisches Instrument der Sicherung des Friedens. Ein Werkzeug der Demokratie. Die Arbeit mit diesem Werkzeug war nicht immer sauber – auch auf dem Balkan war durch die NATO viel Porzellan zerschlagen worden. Aber der Krieg dort, das Morden der Ethnien untereinander, war gestoppt worden. Und das war doch was. Angesichts der Gefahr eines Rückfalls in die Zeiten der großen Kriege war das sogar sehr viel, wie Marie sich eingestehen musste.
So hatte sie durch Karls behutsamen Einfluss langsam und widerstrebend gelernt,
Weitere Kostenlose Bücher