Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
Ein leises, aber sicheres Klicken. Wie bei einem ihrer Küchengeräte.
Eigentlich war so eine Waffe doch ein angenehmer Gegenstand – wenn man seine Abscheu vor ihrer Funktion überwand. Seltsam, aber Marie hatte ihre Abscheu problemlos überwunden. Sie wusste, dass dieses Stück Metall, die Leichtpistole der Marke Heckler & Koch, wie Karl ihr erklärt hatte, ihr Eigentum war. Dass es einzig und allein dazu diente, ihr ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Und das brauchte Marie jetzt dringend: ein Gefühl der Sicherheit.
Marie spürte ein starkes Verlangen, mit der Waffe etwas zu tun. Sie baute sie auseinander. Karl hatte ihr gezeigt, wie das ging. Man konnte das Magazin herausziehen. Das war, wenn man die Sperre überwunden hatte, kinderleicht. Marie säuberte das Magazin, dann den Stutzen, auf dem das Magazin saß.
Sie sprühte einen Spritzer Maschinen-Öl aus der Dose, die in ihrer Nähmaschine stand, in das Lager. Auch das hatte Karl ihr gezeigt. Es durfte nicht zu viel sein. Nur ein Hauch.
Dann setzte sie die Waffe wieder zusammen.
Als sie sichergestellt hatte, dass das Magazin richtig in der Halterung saß, begann Marie mit dem Laden. Sie öffnete die Laschen der Munitionspackung und entnahm ihr sechs Patronen. Diese stellte sie wie Soldaten, die zum Exerzieren angetreten waren, in gleichen Abständen nebeneinander auf den Küchentisch.
Sie lehnte sich zurück. Mother’s Little Helper . Der alte Stones-Titel fiel ihr ein. Sie konnte nicht sagen, warum. Es war eine unwillkürliche Synapsenverknüpfung. Ohne tieferen Sinn. Zumindest hoffte Marie das, denn Mother’s Little Helper , das wusste sie von Karl, der gut Englisch sprach und mit ihr zusammen oft Liedtexte übersetzt hatte, das waren Pillen, die frustrierte Frauen nahmen, wenn ihnen ihr Leben und der Haushalt über den Kopf wuchsen.
Marie brauchte aber keine Pillen. Dazu war sie gar nicht der Typ. Der Ausrutscher mit dem Alkohol an dem Abend mit Gunter passte nicht zu ihr. Das war nicht Marie gewesen. Da hatte eine andere, eine ihr fremde Person, kurzzeitig das Kommando übernommen. So etwas würde nie wieder vorkommen. Dessen war Marie sich sicher.
Nein, die sauberen, goldgelben, blitzenden Patronen, die auf dem Küchentisch vor ihr standen und brav darauf warteten, dass sie ihr zu Diensten sein konnten, waren alles andere als Drogen. Es waren Werkzeuge, Hilfsmittel, Sklaven. Sie waren dazu da, wieder die Oberhand zu gewinnen. Deshalb hatte Karl sie ihr zurückgelassen. Das war das genaue Gegenteil von Pillen, die einem das Hirn vernebelten. Wenn man eine Pistole hatte und damit umgehen konnte, sah man vieles klarer. Das hatte Karl ihr gesagt. Und nun spürte sie, wie recht er damit gehabt hatte.
Marie steckte die erste Patrone in das Magazin. Sie schlüpfte in den Kanal, als würde sie von einem Magneten angezogen werden. Dann folgten die fünf anderen. Es war eine ernste Arbeit. Marie atmete dabei ganz tief und ruhig.
Als sie fertig und das Magazin voll war, klappte sie die Waffe zu.
Sie lag nun etwas schwerer in der Hand. Die Geschosse hatten ihr Gewicht. Das mussten sie auch. Sie konnten einen Schrank durchschlagen und tief in den Schädel eines Menschen eindringen. Auch das hatte Karl ihr erklärt. Und er hatte ihr eingeschärft, auf welche Körperteile sie zielen sollte. Auf die Stirn. Auf das Herz. In den Bauch.
Es ging um ihr Leben oder um das Leben ihres Kindes.
Eine Waffe ist nichts wert, wenn du nicht bereit bist zu töten.
Das hatte Karl gesagt. Sie war damals erschrocken. Aber Karl hatte auch gesagt: Du tust es für dich und für Felix. Also nimm die Sache ernst und mache sie richtig.
Marie wiegte die Waffe in der Faust.
Ein beruhigendes Gefühl. Sie war schwer, und Marie hatte sie selbst geladen.
Nun konnte sie damit schießen.
Ab jetzt würde die Waffe nachts immer unter ihrem Bett liegen.
Es dämmerte schon, als das Telefon läutete.
Marie war sofort hellwach. Sie hatte nur noch einen leichten Schlaf. Vor allem gegen Morgen. Ihr Bewusstsein döste. Es wartete auf den Anruf aus Kundus.
»Ich habe wenig Zeit. Je länger ich rede, desto gefährlicher wird es für mich.«
»Warum? Ich verstehe das nicht.«
»Sie haben Geräte, mit denen sie Handys orten können. Aber nur, während man damit telefoniert. Dann schicken sie ihre Drohnen.«
»Von wem sprichst du, Karl? Wer will dich töten?«
Karl schwieg ein paar Sekunden. »Die, die diesen Krieg hier angefangen haben.« Er lachte auf. »Die Koalition der
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