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Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Alleingang: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Alleingang: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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zur Tür zu gelangen. Überall stand Schrott herum, an dem Egon bastelte.
    Karl mochte ihn gerne, er hielt ihn für ein Genie. Er sagte oft, wenn Egon mit den Menschen besser könnte, wäre er sicher ein berühmter Ingenieur oder Wissenschaftler geworden.
    Egon war ein Autist. In Maries Augen war er das. Sollte Karl doch sagen, was er wollte. Sie hatte keine Angst vor Egon, aber sie suchte auch nicht gerade seine Gesellschaft.
    Die Kate schien verlassen zu sein. Vielleicht war er wieder mit seinem Zelt losgezogen. Manchmal verbrachte er den ganzen Sommer an den Mecklenburgischen Seen. Er campierte im Schilf und zeichnete Vögel. Karl fand das rasend interessant. Er ließ sich auch von Egon aus seinen Reise-Aufzeichnungen vorlesen. Marie war gezwungenermaßen einmal dabei gewesen: In ihren Augen waren Egons Erzählungen nichts als alberne Tiergeschichten, die er mit naivem Naturglauben durchmischte. Aber wenn es Karl gefiel, sollte es ihr recht sein.
    Marie betätigte drei Mal die verbeulte Schiffsglocke, die neben der Haustür hing.
    Im Häuschen tat sich nichts.
    Marie war nicht traurig darüber. Sie hatte Egon einmal mit Karl zusammen in seiner Kate aufgesucht. Innen war die Bude noch enger und düsterer, als es von außen den Anschein hatte. Da Egon es ablehnte, das Unkraut, das sein Grundstück überwucherte, zu stutzen, waren auch die Fenster weitgehend zugewachsen. Marie wusste nicht, ob Egon überhaupt elektrisches Licht in seiner Kate hatte. Aber wenn er es hatte, stellte er es nie an. In der Ecke flackerte eine Petroleumlampe. Die zwei kleinen Zimmer waren so zugestellt mit alten Möbeln, an denen Egon gerade herumtischlerte, und allerlei feinmechanischen Apparaten, dass schwer auszumachen war, welchem Zweck das jeweilige Zimmer diente: dem Schlafen, dem Essen oder dem Arbeiten.
    Am meisten hatte Marie damals der Geruch gestört: nach alten Lappen, nach Moder und dem Maschinenöl, das Tüftler für ihre Erfindungen benutzten. Marie hatte auf dem Nachhauseweg zu Karl gesagt: »Wenigstens die Spinnweben in den Fensterrahmen hätte er doch mal entfernen können, oder?«
    Aber Karl hatte ihr erklärt, Egon lasse die Spinnweben in den Fenstern, damit er im Sommer von den Mücken verschont bleibe. Das sei eine sehr wirksame und natürliche Methode des Umgangs mit Insekten – vor allem in so unmittelbarer Umgebung des Meeres. Da Marie einen Horror vor Stechmücken ebenso wie vor Spinnen hatte und Karl das sehr wohl wusste, nahm sie sich vor, ihm gegenüber nie wieder etwas über Egons Schrullen verlauten zu lassen.
    Marie überlegte, ob sie einen Zettel hinterlassen sollte. Sie hatte sich gerade durch die Hecke gezwängt, stand nun auf der unbefestigten Dünenstraße, an der Egons Grundstück lag, und klopfte die weißen Samenfäden des Unkrauts von ihrer Bluse und dem Rock. Da quietschten die Bremsen eines Fahrrades hinter ihr. Marie drehte sich um.
    Egon auf seinem rostigen alten Hollandrad mit 28er-Reifen und elegant geschwungenen Handbremsen. Das Rad kam nur langsam zum Stehen. Wenn Egon es nicht in die Hecke gelenkt hätte, wäre er wahrscheinlich an Marie vorbeigefahren. Er sprang ab und ließ das viel zu große Rad ins Gestrüpp sinken.
    »Wollen Sie zu mir?« Er schaute sie nicht an, das tat er nie. Wahrscheinlich konnte er auch Karl nicht in die Augen sehen. Dem machte das nichts aus. Bei Marie war das anders. Solche Menschen wie Egon bereiteten ihr Unbehagen.
    »Ja. Karl hat mich gebeten … Er sagte, ich sollte mit Ihnen reden.«
    »Wann hat er das gesagt?«
    Marie stutzte. »Bei unserem letzten Gespräch. Am Tag, bevor er …«
    Egon hatte Mühe, die Fahrradklammern von seinen Hosen zu lösen. Als er es endlich geschafft hatte, ließ der die unförmigen Stahlringe in der weiten Hosentasche verschwinden und streckte sich wie nach einer schwierigen Gymnastikübung.
    Egon war klein und breit. Er rasierte sich nicht, aber es wuchs ihm kein Vollbart, sondern nur ein hellgrauer Flaum, der um den Mund herum vom Nikotin der selbstgedrehten Zigaretten gelbbraun verfärbt war. Seine Haut war dunkel und lederartig. Entweder trank er Hochprozentiges oder die Sommer an den Mecklenburgischen Seen hatten sein Gesicht durch Sonne und Wind gegerbt. Die Haut war tief zerfurcht. Die blauen Äuglein verschwanden fast in dem Schildkrötengesicht.
    Marie wusste von Karl, dass Egon keinen Fernseher hatte und die Zeitungen, die im Dorf zu haben waren, ablehnte. Aber er baute Radios und hörte sicher allerhand an diesen alten

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