Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
Angebote eines Elektro-Großhandels in Anklam. Marie wusste, dass der Markt manchmal seine Prospekte auf Usedom verteilte. Aber wie kam Felix an so ein Faltblatt? Und warum schleppte er es in dem sowieso viel zu vollen Ranzen mit sich herum? Das war nämlich auch ein Grund für Auseinandersetzungen: Dass Felix alles Mögliche in seinen Ranzen stopfte und ihn dadurch immer schwerer machte. Die Lehrerin hatte Marie schon darauf aufmerksam gemacht, wie gebückt der Junge ging. Also kontrollierte Marie regelmäßig den Ranzen und sortierte alles aus, was nicht hineingehörte. So wie der Prospekt des Elektrogroßhandels.
Felix stürmte herein und leerte sein rosa Sparschwein, dessen Kopf er abgeschraubt hatte, auf dem Küchentisch aus. Die Münzen drohten über die Tischkante zu rollen und auf den Boden zu fallen. Doch Felix gelang es, mit ausgebreiteten Armen Barrieren zu errichten und so alle Münzen einzufangen. Er türmte sie zu zwei Säulen auf. Dann entfaltete er die Scheine – er hatte sie kleinstmöglich zusammenfalten müssen, damit sie durch den Schlitz des Schweinchens gepasst hatten.
Mit hochrotem Kopf legte der Junge die Scheine übereinander. Sie wellten sich, und er hatte Mühe, sie mit der flachen Hand zu bändigen. Seine Lippen bewegten sich dabei unaufhörlich. Felix zählte.
»Es sind 82 Euro und 35 Cent. Dafür bekomme ich ein Kartenhandy und zwei Karten zu je 15 Euro Guthaben.«
Der Junge wusste also schon bestens Bescheid.
Marie setzte sich an den Tisch und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie musste sich sammeln. Die Sache mit Gunter machte ihr mehr zu schaffen, als sie gedacht hätte.
Marie gab sich Mühe. Sie wollte nicht schreien und nicht ungerecht sein. Der Junge konnte schließlich nichts dafür, dass die Dinge immer mehr aus dem Ruder liefen. Er sollte es nicht ausbaden müssen. Dennoch – Marie durfte sich nicht so von ihm überfahren lassen. Vor allem nicht in dieser Sache.
»Hatte ich nicht deutlich gesagt, dass ich nicht möchte, dass du ein Handy bekommst.« Sie sprach sehr leise, fast flüsterte sie. Sie wollte keinen Groll aufkommen lassen, ihn nicht reizen. Sie sah ja, wie wichtig diese Sache für ihn war. Monatelang hatte er auf ein teures Skateboard gespart. Und nun war er bereit, alles zu opfern – für ein Handy.
»Du hast gesagt, dass du mir keines kaufst. Du musst mir ja auch keines kaufen. Ich kaufe es mir selbst.«
Er stand vor ihr, die Fäuste geballt, die Arme fest an die Seiten gepresst. Felix zeigte ein verkniffenes Gesicht, er war bereit zu kämpfen. Mit ihr. Mit seiner Mutter. So wichtig war ihm dieses Handy.
Marie wurde schwach. Er tat es doch nur, um seinem Vater näher zu sein.
Sie versuchte zu lächeln. Sie beugte sich vor und zog ihn an sich. Sie umarmte ihn. Sie drückte ihn an ihre Brust. Sie sollten sich spüren. Dann war alles wieder gut.
Felix machte sich los. Marie erschrak, als sie spürte, wie viel Kraft er einsetzte, um sich aus ihrer Umarmung zu befreien. Was war bloß mit ihrem Kind los?
»Wenn ich es von meinem eigenen Geld bezahle, geht dich das nichts an!«
So weit waren sie also schon.
»Das geht mich sehr wohl was an, mein Lieber. Noch bin ich deine Mutter und bestimme, wann du ein Handy bekommst und wann nicht.«
Felix schossen die Tränen in die Augen. »Aber ich habe …« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, es verschlug ihm die Sprache.
»Es geht wirklich nicht«, sagte Marie etwas sanfter. Sie konnte ihm nicht sagen, dass sein Vater es auch nicht wollen würde. Aus Gründen, die selbst Marie nicht ganz verstand, konnte es Karl gefährlich werden, wenn er telefonierte. Er hatte etwas von »orten« gesagt. Marie stellte sich Soldaten vor, die mit einer Art Geigerzähler herumliefen und Handystrahlen zu messen versuchten. Was sie taten, wenn sie jemanden »geortet« hatten, wollte Marie sich gar nicht ausmalen. Wahrscheinlich fuhren sie los und nahmen denjenigen, der gerade mit seinem Handy telefonierte, fest. Warum Soldaten Karl festnehmen sollten, konnte sie nicht sagen. War er nicht bis vor Kurzem selbst ein Soldat gewesen?
Möglicherweise bildete Karl sich das alles ja auch nur ein. In dem Zustand, in dem sie ihn bei seinen letzten Anrufen erlebt hatte, entwickelte man leicht Wahnvorstellungen.
Aber so lange sie sich nicht sicher war, wollte sie alles so machen, dass sie Karls Lage in Afghanistan nicht noch verschlimmerte.
Auf jeden Fall waren das alles keine Gründe, mit denen sie Felix seinen Wunsch nach einem
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