Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
Geräten. So konnte man sich auch ein Bild von der Welt machen – obwohl Marie, die mit dem Fernseher aufgewachsen war, sich das nur schwer vorstellen konnte.
Ob dieser verschrobene Egon Karl verstanden hatte? Immerhin waren die beiden so unterschiedlichen Männer Freunde gewesen. Vielleicht wusste Egon Dinge von Karl, die Marie nicht wusste. Verschlossene Männer wie Karl öffneten sich manchmal eher Menschen gegenüber, die ihnen eigentlich fremd waren, während sie meinten, sich vor denen, die sie liebten, schützen zu müssen.
Mit Gunter war es ja ähnlich. Er hatte wenig mit Karl gemein. Dennoch hatte Karl mit ihm über Dinge gesprochen, die ihm wichtig waren. Aber das war in Kundus gewesen. In Kundus und im Krieg. Und da war, wie Marie längst wusste, alles anders.
Marie hätte gerne mit Egon über Karl gesprochen. Vielleicht hätte der ihr helfen können, besser zu verstehen, was mit ihrem Mann geschehen war.
Aber als sie ihn so vor sich stehen sah, mit den unförmigen Fahrradklammern, die seine Hosentaschen ausbeulten, hinderte sie etwas daran. Dieser Egon war ihr doch zu fremd.
»Karl hat mich gebeten, zu Ihnen zu gehen und Sie zu bitten, sich unseren Telefonanschluss anzuschauen.«
Was ist, wenn er jetzt sagt, er versteht nichts davon, fragte sich Marie. Das wäre ihr peinlich. Aber sie hätte auch ihre Pflicht erfüllt und könnte gehen, ohne sich weiter mit Egon abgeben zu müssen.
»Ist er kaputt?«
Als ob Marie jemand wäre, der in so einem Fall ausgerechnet zu dem Einsiedler in den Dünen käme. »Nein. Es ist nur so … Karl meinte …«
Dass sie jetzt ausgerechnet diesem Egon Karls Obsession erklären musste. Womöglich war die Angst, abgehört zu werden, auch der Verwirrung geschuldet, in der Karl sich befand.
»Was hat Karl denn genau gesagt?«
Jetzt behandelte dieser Egon sie auch wie ein Kind. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. »Ach, vergessen Sie es! Das war nur so eine Schnapsidee – das mit dem Telefon. Ich rufe heute noch die Telekom an.« Sie versuchte zu lächeln. »Und sonst? Wie geht es Ihnen?«
Sie wusste selbst, dass dieser Ton nicht zu ihr passte. Aber momentan fiel ihr nichts anderes ein. Irgendwie musste sie doch aus der vertrackten Angelegenheit wieder herauskommen.
»Hatte Karl Angst, dass der Anschluss abgehört wird?«
»Ja. Das hatte er.«
Egon ließ den Kopf hängen. »Das mit Karl, das tut mir leid. Sehr leid.«
Er drehte sich um und zwängte sich durch den schmalen Eingang zu seinem Grundstück. Dann fiel ihm etwas ein. Er stockte und wandte sich zu Marie um. »Ich brauche dazu Werkzeug. Wollen Sie schon mal vorgehen? Ich komme gleich nach.«
18.
Er kam natürlich nicht gleich nach. Von Karl wusste Marie, dass Egon ein Problem mit Verabredungen hatte. Und mit der Uhr. Obwohl das seltsam war für jemanden, der sich so für die Technik begeisterte. Aber er war eben ein vielschichtiger Mensch.
Marie wartete nicht auf Egon. Sie bereitete das Mittagessen vor. Felix kam an diesem Tag früher nach Hause. Es gab – Nudelsuppe. Was sonst?
Die Suppe war gerade fertig, als Felix klingelte.
Er schleuderte den Ranzen in die Ecke, zog im Laufen die Jacke aus, zerknüllte sie auf der Eckbank und quetschte sich auf einen Stuhl. »Was gibt’s zu essen?«
»Guten Tag!«, sagte Marie.
»Guten Tag. Was gibt’s zu essen?«
»Nudelsuppe.«
»Welche Nudeln?«
»Schweinenudeln.«
Felix verzog das Gesicht. »Schweinenudeln? Was ist das denn?«
Es läutete an der Haustür. Felix stürmte hinaus. Marie deckte den Tisch und stellte den Gasherd ab. Die Suppe drohte zu verkochen.
Marie hörte Felix laut reden. Das tat er nur, wenn jemand zu Besuch kam, den er kannte.
Er führte Egon herein. »Der Handwerker ist da!«, jubelte Felix.
Egon hatte einen Werkzeugkasten aus blau lackiertem Stahl dabei. Marie musste sich das Lachen verbeißen. In einem solchen Kasten waren doch Schraubenzieher, Hammer, Zangen. Was wollte Egon damit?
Karl hatte vor zwei Jahren eine hochmoderne Telefonanlage angeschafft, einen weißgrauen Kasten, an dem nicht nur das Telefon hing, sondern auch der Computer. Wie wollte Egon dieser komplizierten Technik mit seinem Heimwerker-Werkzeug beikommen?
»Wo ist denn das Telefon?«, fragte Egon. Marie schien er etwas verlegen. Sicher war der aufgekratzte Felix der Grund dafür. Obwohl der Junge sich gut mit dem Einsiedler verstand – alle Jungen verstanden sich gut mit Männern wie Egon. Wahrscheinlich war das der Grund für Karls Nähe zu Egon: Er
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