Allem, was gestorben war
fertig?«
»Wie die das machen, weiß ich nicht, aber in der Renaissance haben sie ihre Neugeborenen in den Kanälen von Venedig ertränkt. Die Mönche trauten sich nicht, dabei zu sein.«
Sie sah ihn mit offenen blauen Augen an. Er trank ein wenig Wein.
»Bist du verheiratet gewesen?«
Sie schaute weg, zu dem offenen Fenster und in die klare Sommernacht.
»Ja. Es war ein Irrtum. Darüber will ich lieber nicht reden.«
»Ich hab denselben Irrtum begangen. Aber es war nicht so, dass meine Frau mich nicht verstand. Sie hat es versucht, aber niemand kann auf Dauer verstehen.«
»Möchtest du darüber reden?«
Er hatte nicht darüber reden wollen. Sie hatten den Wein ausgetrunken, und er war wieder jung und stark geworden. Sie hatte sich auf den Rücken gelegt, und er hatte sich auf sie gelegt, die Hände unter ihr, und sie hatte ein Wort geflüstert, das er so lange, wie sie vereinigt waren, nicht verstand, während sie einen langen roten Fingernagel zwischen seinen Schulterblättern entlanggezogen hatte, herauf und herunter, und sie waren beide gleichzeitig wahnsinnig geworden, bewusstlos zur selben Sekunde. Er war noch eine Weile geblieben und hatte sich dann angezogen.
Sie würden sich nicht wiedersehen.
Jetzt fühlte er sich schwach und alt, aber der Whiskey würde es ihm unmöglich machen zu schlafen. Er schaute zu der Kommode, wo das Foto gestanden hatte, bis ihm klar geworden war, dass nichts mehr werden würde, wie es einmal war. Er hatte es in eine Schublade gesteckt. Trotzdem sah er das Bild, die Hochzeit in den anspruchslosen Siebzigern, sein brauner Cordanzug, Elisabeths braune Bluse und brauner Rock. Im Stillen, nur zwei Freunde waren dabei gewesen. Beide jung, mindestens zehn Jahre von auch nur einer Andeutung vom Mittelalter entfernt. Wide ließ das Glas auf dem Tisch stehen, es war noch ein Fingerbreit Whiskey darin, er ging unter die Dusche und wusch langsam den Duft der Frau ab.
Sten Ard hatte Verständnis dafür, dass manche Leute Konditor werden wollten, weil sie Interesse und eine Neigung für feines Backwerk hatten. Oder für Leute, die Journalisten wurden: Irgendwo gab es ein Interesse fürs Schreiben oder eine andere Form der Kommunikation. Oder Musiker - da musste eine Liebe zur Musik vorhanden sein. Alle Berufe ... die meisten jedenfalls, mussten doch von Leuten ausgeübt werden, die sich für ihre Arbeit interessierten.
Was war es bei ihm? Interessierte er sich besonders für Gewalt?
Sten Ard meinte alle Gewalt zu hassen, mehr als alles andere. Er hasste Gewalt so intensiv, dass er aggressiv wurde, wenn er ihr begegnete. Die Gewalt, die ihn umgab, gebar eine Gewalt in ihm, er war sich dessen bewusst und manchmal erschreckte es ihn. War er Polizist geworden, um dieses Gefühl ausleben zu können? Hatte er eine Legitimation für Gewalt gesucht, die ihm dieser Job ermöglichte? In fast allen anderen Zusammenhängen würden er und seine Kollegen als gestörte Menschen eingeordnet werden. Wie wenn Fußballspieler sich in unkontrollierter Freude heftig umarmten. Oder eher, wie wenn Hockeyspieler sich gegenseitig prügelten, grobe Misshandlung, die fast nie zur Anklage führte. Wie viele Borderliner-Persönlichkeiten fuhren mit Schläger und Helm übers Eis? Andererseits - wäre nicht vielleicht weitaus Schlimmeres passiert, wenn sie nicht Schlittschuhlaufen gelernt hätten?
An all das und noch einiges mehr dachte er, während er vor der verletzten Kerstin Johansson stand. Jemand hatte sie fast zu Tode geprügelt, und er konnte nur hoffen, dass sie rasch das Bewusstsein verloren hatte. Dass sie dem Entsetzen entkommen war, das sie wie eine dichte Plastiktüte eingehüllt hatte.
Ihr Gesicht hatte sie behalten, und das machte es ihm leichter, hier zu stehen. Er war nicht verpflichtet, unter die Decke zu schauen, auf den Rest ihres Körpers, und es stimmte ihn dankbar, nicht Arzt geworden zu sein.
Gerichtsmediziner. Dort waren die geistigen Verwandten der Polizei zu finden. Manche Menschen entschieden sich für die Gerichtsmedizin. Er fragte sich, warum.
Es war warm in dem kleinen Raum. Der Sommer schien keine Rücksicht darauf zu nehmen, wie es den Menschen hier drinnen ging. Einmal hatte Ard einen Freund besucht, der im Sterben lag, Krebs, in genau so einem Zimmer. Es war auch ein Sommerabend gewesen, Ard hatte den Sommer mit ins Zimmer gebracht, und er hatte ihn wieder mit hinausgenommen, als er ging.
So ein Gefühl hatte er in diesem Moment. Der Sommer würde ihm nach draußen
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