Allem, was gestorben war
Fußgängerzone Danmarksgade. Wegen der Hitze hielten sich die Besucher von der Sonne fern, drückten sich an den Häusern entlang und suchten Kühle unter den Sonnenschirmen der Straßenlokale. Es gab auch keine Cliquen betrunkener junger Leute. Ein paar Jugendliche bespritzten sich kraftlos aus grotesk überdimensionalen Wasserpistolen.
Am nördlichen Ende der Danmarksgade betrat Wide sein erstes Ziel. »Munken«, gute Lage, wurde aber selten von Touristen aufgesucht. Man musste nur eine halbe Minute da drinnen verbringen, um zu begreifen, dass man hier nicht erwünscht war. Wide warf einen Blick zu den beiden Billardtischen im dunklen Innern der Bodega und ging dann zur Theke. Glänzendes Mahagoni, fünf Männer, die ihren Blick auf ihn gerichtet hatten. Der ist in einer halben Minute wieder draußen, dachte Kim Hansen und trank den Rest aus seiner Tuborgflasche.
Hier hatte Wide ihn gesehen . wie hieß er noch? Kas-persen? Hatte ihn vor einem halben Jahr herauskommen sehen. Er hatte ihn auch hineingehen sehen, in derselben Woche, etwa einen Tag später. War das sein Stammlokal? Kragersen. Er hieß Kragersen, Preben.
»Kommt Preben heute?«
Der Barkeeper warf ihm einen bösen Blick zu.
»Ich heiße Berggren, bin ein Geschäftsfreund aus Schweden. Wir wollten uns heute hier treffen.«
Der Barkeeper warf ihm noch einen bösen Blick zu, wischte die Theke ab, nahm ein sauberes Glas aus dem Regal hinter sich.
»Preben Kragersen. Der von der >Stena<.«
Ein kleiner Mann mit schütterem Haar und tiefrotem Gesicht schien etwas sagen zu wollen, hielt aber den Mund nach einem Blick des Mannes hinter dem Tresen.
»Was soll es sein?«, fragte der kurz.
Wide bestellte sich ein Bier und einen Kurzen.
»Es gibt viele Preben.«
Plötzlich lächelte der Barkeeper ihn an. Musste er das in diesem Moment?
»Dieser ist groß und blond und hat häufig in Göteborg gearbeitet.«
»Das trifft auf ungefähr die Hälfte der männlichen Bevölkerung dieser Stadt zu.«
»Ein richtiger Filmstar.«
»Hübsch?«
»Sehr hübsch.«
»Dann glaub ich, ich weiß, wen Sie meinen. Aber er ist schon lange nicht mehr hier gewesen. Haben Sie gesagt, Sie sind heute verabredet?«
»Vor zwölf, hier im >Munken<.«
Der Kleine mit dem roten Gesicht wollte wieder etwas sagen, es rasselte ein bisschen in seiner Kehle, aber es kam kein Wort heraus. Links von ihm saß ein Mann, den Wide nur im Profil schräg von hinten sah.
Er hatte keine Ohrläppchen. Das hatte Wide früher schon bei anderen Leuten gesehen, aber hier war es besonders auffallend, Ohren wie Blätter ohne Stängel.
»Da kann ich nicht helfen.«
Wide ließ den Schnaps mit den exotischen Kräutern Zunge und Gaumen umspielen. Kühle Wärme breitete sich in ihm aus. Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Bierglas und spürte plötzlich heftige Sehnsucht, lange hier in Kühle und Dunkelheit sitzen zu bleiben, sich zu betrinken und die Welt weiterrollen zu lassen ohne ihn.
Er nahm noch einen Schluck Bier, stieg vom Barhocker und ging hinaus in den Sonnenschein. Das Licht war intensiv und er bekam Kopfschmerzen oberhalb des rechten Auges.
Als Wide auf der Straße verschwunden war, drehte sich der Barkeeper zu einem Vorhang um, der die kleine Küche verbarg. Ein kräftiger Mann mit dickem grauem Haar und dünnem Baumwollanzug kam heraus. »War er das?« »Ja.«
»Wie kommt der hierher?« »Scheißfrage.«
Der Grabstein war weiß wie die anderen vierundsechzig Steine auf dem britischen Kriegsfriedhof im nördlichen Teil von Fladstrands Friedhof.
Pilot Officer C. Robotham, Sergeant. Ruhe für ewig in dänischer Erde ...
Drei britische Seeleute und zweiundsechzig Flieger des britischen Commonwealth: sechsundvierzig Briten, neun Kanadier, ein Australier, fünf Neuseeländer. Und einer, der Englisch gesprochen hatte, hinterher aber nicht identifiziert werden konnte.
Über den kleinen, quadratischen Friedhof strich ein schwacher Wind. Blumen auf einigen Gräbern.
Die Familie? Bezahlten die dänischen Mitbürger Blumen für die Gräber?
Geliebte? Es gab Menschen, die nicht vergaßen.
Robotham. Einige Flugzeugflügellängen vom Fragtham-nen entfernt abgeschossen, in der Nähe des Zentrums. November 1942, er lebte noch, als ihn dänische Hafenarbeiter aus dem Wasser fischten und in Sicherheit brachten. Es war ein Wunder und konnte nur passieren, weil die Deutschen noch nicht zu diesem Anlegeplatz gekommen waren.
Einer der dänischen Hafenarbeiter war sein Großvater gewesen. Johannes
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