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Aller Heiligen Fluch

Aller Heiligen Fluch

Titel: Aller Heiligen Fluch
Autoren: Elly Griffiths
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recken und dabei allesamt so ungeduldig dreinschauen, wie Nelson sich fühlt. Er geht auf den nächstbesten Pferdekopf zu, doch das Tier verdreht zornig die Augen und bläht die Nüstern.
    «Kommen Sie dem lieber nicht zu nahe», sagt eine Stimme hinter ihm. «Das ist ein ziemlicher Rabauke.»
    Nelson dreht sich um und sieht eine Frau in Reithose und Warnschutzweste. Das Pferd wiehert, als es sie kommen sieht – ob zur Begrüßung oder aus Ärger, ist nicht ganz klar.
    «Kann ich Ihnen helfen?», fragt die Frau mit hochgezogenen Brauen. Sie ist groß und hat schwarzes Haar, das ihr offen über die Schultern fällt. Ganz attraktiv, denkt Nelson, auch wenn sie gar nicht sein Typ ist. Sie hat dunkle Augen, gerade schwarze Brauen, die sich fast in der Mitte treffen, und eine bemerkenswerte Nase. Und sie kommt Nelson irgendwie bekannt vor.
    « DCI Nelson von der Polizei Norfolk», stellt er sich vor. «Ich bin mit Danforth Smith verabredet.» Den Teufel wird er tun und noch ein «Lord» anhängen.
    «Ach, Sie wollen zu Vater», sagt die Frau. «Dann kommen Sie doch gleich mit ins Büro.»
    Im Vergleich zu dem penibel sauberen Hof ist das Büro überraschend chaotisch. Alles liegt mit Rennzeitungen voll, dazwischen stehen halbgeleerte Kaffeetassen, und sogar ein angebissener Donut liegt herum. Neben dem Rechner sitzt eine große rotgetigerte Katze und beäugt unverwandt den Donut. Die Katze – und der Donut – lassen Nelson an Ruth denken. An der Innenseite der Tür hängt eine Jockeykluft in grellen Rosa- und Lilatönen.
    «Entschuldigen Sie bitte, wie es hier aussieht», sagt die Frau, «aber ich muss bis zehn mit den Nennungen durch sein.»
    «Nennungen?»
    «Die Angaben, welches Pferd wo läuft.»
    Eine Fremdsprache, denkt Nelson. Es ist eine ungewohnte Erfahrung für ihn, in eine so völlig unbekannte Welt einzutreten. Draußen reitet ein Jockey auf seinem Pferd an der offenen Tür vorbei. Nelson mit seinem ungeübten Blick ist tief beeindruckt von dem Tier, von dem fedrigen Schwanz, der um die seidigen Hinterbeine streicht. Er hätte nie gedacht, dass Pferde aus der Nähe so groß sind. Die Steigbügel des Reiters sind auf einer Höhe mit der Fensterbank. Jetzt werden auch andere Pferde aus ihren Boxen geführt, ihre Atemwolken erfüllen die kalte Luft. Weitere Männer (und, wenn ihn nicht alles täuscht, auch Frauen) in gelben Warnschutzwesten zurren die Sattel fest und schwingen sich auf die schmalen Pferderücken. Kurz darauf ist der ganze Hof voller tänzelnder, sich aufbäumender Pferde, die langsam das Grasviereck umrunden.
    Nelson – das hat er allerdings keiner Menschenseele je verraten – hat eine Schwäche für Pferde. Er erinnert sich noch gut, wie entsetzt sein Vater war, als er als kleiner Junge Reitstunden nehmen wollte. Ihm wurde schnell klar, was für einen gravierenden Fehler er da gemacht hatte: Pferde waren etwas für Mädchen, Jungs spielten Fußball. Und so hatte er die Bitte eiligst in Fußballtraining abgewandelt und konnte sich an der Miene seines Vaters freuen, als er sein erstes Tor für die Bispham Juniors schoss. Archie Nelson verpasste kein einziges Spiel seines Sohnes und brüllte sich an der Seitenlinie heiser, obwohl er sonst in jeder Hinsicht ein leiser Mensch war. Seine Schwestern, das weiß er noch, nahmen Ballettstunden, aber das zählte daheim nicht einmal halb so viel wie Harrys Fußballspiel. Er kann sich nicht erinnern, dass sein Vater auch nur bei einer einzigen Tanzvorführung war, obwohl seine Schwestern beide als ziemlich begabt galten.
    Und so hatte Nelson seine Pferdebegeisterung unterdrückt und sie aufs alljährliche Wetten beim Grand National beschränkt. Das Rennen sieht er sich auch gern im Fernsehen an, wenn die Pferde zum Aufgalopp in die Koppel stürmen und mit windzerzausten Schwänzen zur Startbox kantern. Unfassbar, dass die Jockeys, wie sie da halb auf den Hälsen dieser nervösen Muskelpakete hocken, überhaupt im Sattel bleiben. Nelson selbst hat noch nie auf einem Pferd gesessen, und jetzt ist es auch zu spät dafür.
    «Der zweite Pulk bricht gerade auf», sagt die Frau, die sich inzwischen mit dem Rechner beschäftigt hat.
    «Wohin denn?», fragt Nelson und überlegt dabei, ob das jetzt eine blöde Frage war.
    «Auf die Galoppbahn.»
    «Bisschen Bewegung?»
    Sie dreht sich um und schenkt ihm ein leichtes Lächeln. Es steht ihr nicht; ihre Züge eignen sich eher für die große Tragödie. «Hundertzwanzig Kilometer bergauf. Ich glaube, das kann man
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