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Aller Heiligen Fluch

Aller Heiligen Fluch

Titel: Aller Heiligen Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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letzten Nacht hat Ruth sich geschworen, nicht mehr an Nelson zu denken.
    Sie setzt sich mit Tee und Toast ans Fenster. Flint kommt herein, nimmt mitten in einem Fleck aus Sonnenlicht Platz und fängt an, sich mit hochgerecktem Bein zu putzen. Kate spielt mit einem ihrer Geburtstagsgeschenke, einem Miniatur-Garten mit Blumen und Gemüse aus Plastik, die alle in entsprechend geformte Löcher gesteckt werden müssen. Sie beherrscht das Spiel ganz gut, nur manchmal verliert sie die Geduld und pfeffert die Plastikblumen quer durchs Zimmer. Wo hat sie bloß dieses Temperament her? Ruth köchelt eher auf kleiner Flamme, sie gerät nur schwer in Zorn, ist aber dann sehr nachtragend. Bestimmt hat Nelson als Kind auch Wutanfälle gehabt. Wahrscheinlich hat er sie sogar bis heute, brüllt seine Leute zusammen und braust mit dem Wagen weg, von Abgaswolken umhüllt. «Scheiße noch mal, jetzt mach’s einfach», hat sie ihn einmal zu Clough sagen hören. Nicht unbedingt der taktvollste Führungsstil. Aber Ruth hat ja auch keine Führungsposition, sie muss nur mit sich selbst klarkommen. Und sie denkt schon wieder an Nelson.
    Es ist ein schöner, klarer Wintermorgen. Der Himmel erstrahlt hellblau, das Meer, das hinter den sich kilometerweit erstreckenden weißlichen Gräsern hervorschaut, ist von dunkelblauer Farbe, fast schon grau. Hin und wieder erhebt sich eine Wolke Vögel aus dem Schilf, um am Himmel ihre Kreise zu ziehen. Manche von ihnen verbringen den Winter im Watt, andere bereiten sich auf die lange Reise nach Süden vor. Erst vor ein paar Tagen hat Ruth einen Wanderfalken beobachtet, der auf ein ahnungsloses Opfer im hohen Gras herabstieß. Ist das mit Max auch so?, überlegt sie. Hat er sich auf sie gestürzt, weil sie allein und verletzlich ist? Es hat sich nicht so angefühlt, aber was weiß sie schon? Sie hat nicht gerade die beste Erfolgsquote in Liebesdingen.
    «Morgen.» Max steht an der Treppe und erinnert weniger an einen Raubvogel als vielmehr an einen großen Hund, einen Wolfshund vielleicht: verwuscheltes Haar, langgliedriger Körper, im Einklang mit sich selbst. Klaudia gerät ganz außer sich vor Freude, rast durchs Zimmer auf der Suche nach etwas, was sie ihm bringen könnte, und kommt schließlich mit einem von Ruths BH s an, den sie aus dem Wäschekorb gefischt hat. Max sieht Ruth an, und sie müssen beide lachen. Kate, eifrig damit beschäftigt, Plastikgemüse in Löcher einzupassen, lacht mit.
    «Tee?», fragt Ruth.
    So schwierig scheint es gar nicht zu sein.
     
    Whitcliffe hat das Team zusammengetrommelt, und jetzt sitzen sie alle im Besprechungszimmer, unausgeschlafen und gereizt, weil man sie am Sonntagmorgen einbestellt hat. Whitcliffe berichtet von Nelson; er trifft dabei genau den richtigen Ton, mitfühlend und doch professionell. Judy steht hinter ihm und fühlt sich schrecklich unsicher. Sie beobachtet die Mienen ihrer Kollegen, während sie die Nachricht verarbeiten. Clough ist wie vor den Kopf geschlagen: Er will etwas sagen, schließt dann aber doch wieder den Mund. Sein halbgegessener Schokoriegel fällt zu Boden. Tanya wirkt betroffen: «Sollen wir vielleicht Blumen schicken?» Tom Henty bleibt stoisch und ungerührt, doch Judy fällt auf, dass ihm die Hände ein wenig zittern, als er seine Unterlagen zusammenlegt. Rocky sieht aus, als hätte er kein Wort verstanden.
    Clough steht offenbar so unter Schock, dass er Whitcliffes wie selbstverständlich hingeworfene Ankündigung, Judy werde «bis auf Weiteres die Ermittlungen leiten», gar nicht mitbekommt. Erst als Whitcliffe sich gesetzt hat und Judy vor dem Whiteboard Stellung bezieht, hebt er ruckartig den Kopf und mustert sie mit beinahe hasserfülltem Blick. Judy spürt, dass sie ein wenig zittert, als sie das Datum auf die Tafel schreibt. Ihre Schrift kommt ihr schulmädchenhaft und ungelenk vor im Vergleich zu Nelsons schwungvollem Gekrakel. Sie spürt, wie Tanya sie beobachtet; ihre Körpersprache schwankt so sehr zwischen Mitgefühl (schief gelegter Kopf) und Groll (zusammengekniffene Augen, gereizt wippender Fuß), dass es fast schon wieder komisch ist.
    «Operation Oktopus», schreibt Judy an die Tafel. Diesen Namen haben sie der Drogensache gegeben, auf Cloughs Vorschlag hin, weil er zeigt, dass die Drogen vermutlich auf dem Seeweg kommen und die Schmuggler ihre Fangarme überall haben. «Wie bei der Mafia», sagt er immer. Er liebt die
Paten
-Filme, und wenn er allein vor dem Spiegel steht, versucht er sich gern an Sätzen wie:

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