Alles auf Anfang! (German Edition)
sie so handelte wie ihre Mutter es erwartete, wurde sie
geliebt. Wenn sie von ihrer Vorstellung abwich, hüllte sich ihre Mutter in
eisiges Schweigen.
Wenn sie ganz ehrlich war, hatte sie ihre
Beziehung zu Ludger nur so lange aufrecht erhalten, weil er ihrer Mutter so gut
gefiel. Sie wollte keine Konfrontation und war bis dato nie stark genug
gewesen, sich aufzulehnen. Ihr ganzes Handeln, ihr Lebensablauf war von dem
Gedanken getrieben, Menschen, die ihr nahe standen, glücklich zu machen. Immer
hatte sie sich gewünscht, anders zu sein. So schlank und langbeinig wie ihre
Klassenkameradin Astrid, so leidenschaftlich und rothaarig wie ihre Cousine
Alexandra, so intelligent, ordentlich und geradlinig wie ihre Schwester Mona,
die ihr immer als großes Vorbild vorgehalten wurde. Dieser Drang, immer eine
andere sein zu wollen, hatte ihr die Chance genommen, sich selber zu finden.
Sie musste erst alle Brücken hinter sich
abbrechen, um zu erkennen, dass sie nicht ihr ganzes Leben in der Schublade
„nett“ verbringen wollte.
„Weißt du, Lydia. Als ich heute unter
meinem Schreibtisch saß und ein wildfremder Mann mich als „nett“ betitelte, da
sind bei mir alle Sicherungen durchgebrannt. Ist es nicht furchtbar traurig,
wenn deine ganze Persönlichkeit auf vier Buchstaben Platz reduziert wird?“
„Quatsch! So ist es doch gar nicht. Meinst
du denn, dein Chef oder wer auch immer kommt in dein Büro und sagt: „Hallo Herr
Sowieso, haben sie die charmante, hübsche, freundliche, kesse, kecke,
liebenswürdige Lisa Seiler gesehen, ca. 168 cm groß, dunkelblond mit einer
süßen Wildlockenmähne und den strahlendsten blauen Augen, die ich jemals
gesehen habe? Nicht dein Ernst, oder?“
„Nein, natürlich nicht! Aber muss es
unbedingt ‚nett’ sein?“
„Also, ich finde nett ist für den Anfang
okay! Und wann gehst du eigentlich mit ihm essen?“
„Keine Ahnung! Jetzt gehe ich auf jeden
Fall nach Hause. Ich bin hundemüde!“
Es war ein herrlicher, lauer
Frühsommerabend. Ein samtiger Wind strich um die Häuser der Stadt. Das Wetter
hatte hochsommerliche Temperaturen gebracht und die Häuserwände aufgeheizt.
Jetzt am Abend gaben sie ein Teil ihrer gespeicherten Wärme wieder ab und
gönnten den sonnenhungrigen Münchnern herrliche Biergartenstunden. Überall
tummelten sich junge und alte Menschen, um die letzten Stunden des Tages im
Grünen zu verbringen. Es zog eine heitere Geselligkeit durch die Straßen. Lisa
fühlte sich auf angenehme Weise beschwingt und genoss die Leichtigkeit des Seins.
Sie war ein ganzes Stück über sich hinaus gewachsen heute und war fest
entschlossen, an sich zu arbeiten. Obwohl sie müde war, machte sie noch einen
kleinen Umweg durch den Englischen Garten. Dieser war ebenfalls erfüllt von
Leben. Überall saßen und lagen Menschen. Manche in Grüppchen bei einem
Picknick, aber auch eine ganze Reihe von Singles, die bäuchlings im Gras lagen,
mit oder ohne Handtuch, eine Breze knabberten und lasen. Sicherlich weilten
unter ihnen eine ganze Anzahl von Studenten, die ihre Lehrbücher durchackerten.
Alles in allem ein schönes Bild. Hier pulsierte das Leben.
Mit dem sicheren Gefühl, am richtigen Ort
zu sein, ging Lisa nach Hause. Jetzt hatte sie Lust, noch ein paar Kisten
auszupacken.
Auf der Steinstufe vor der schweren, grünen
Haustür hockte ein Mann. Sie konnte ihn aus dieser Entfernung noch nicht
richtig erkennen.
Der Schreck fuhr ihr in die Glieder.
„Ludger!“, schoss es ihr durch den Kopf.
Sie wollte auf dem Absatz kehrt machen.
Der Mann sprang auf, als er Lisa erblickte
und lief ihr entgegen. Flucht zwecklos. Kurz vor ihr ließ er sich auf die Knie
fallen, mit einer roten Rose zwischen den Zähnen. Erst jetzt erkannte sie ihn.
Es war der starke, schwarze Espresso einer leidenschaftlichen Nacht ohne
Fortsetzung.
„Ciao Bella!“
Der Föhn hielt die ganze Woche an und
brachte hochsommerliche Temperaturen in die Voralpenmetropole. Die Berge wagten
sich bis zur Stadtgrenze und boten ein Postkartenpanorama.
Während Lisa ihrem Wochenende in den Bergen
entgegen fieberte, verfolgte Carla Benedetti ganz andere Pläne.
Es war ihr gelungen, den Auftrag
Megasystems unter Dach und Fach zu bringen. Mit großen Risiko gespielt konnte
sie nur hoffen, dass ihr privater Einsatz niemanden auffallen würde.
Die Aktion mit Ben lief weniger optimal.
Musste diese dumme Gans auch ausgerechnet zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt
ins Büro platzen? Sie hatte alles vermasselt.
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