Alles auf Anfang! (German Edition)
war sich nicht sicher, ob er der alten
Dame nicht umsonst einen riesengroßen Schrecken einjagte, wenn er von Lisas
Nichterscheinen berichtete.
Plötzlich wurde er unerwartet bei seinen
Überlegungen gestört.
Ein Herr mittleren Alters, geschätzte 45
Jahre alt, wenig Haare, dunkelgrau, stand unerwartet vor seinem Schreibtisch.
Im ersten Augenblick wirkte er mächtig angestaubt.
In der rechten Hand hielt er eine
rechteckige, schwarze Aktentasche. Über den dünnen Goldrand seiner halben
Brille lugte er verschwörerisch und hielt Ben von Lichtenfels seine
eingeschweißten Daten vor die Nase.
„Maximilian von Kessel, BDB, Bundesverband
Deutscher Banken. Mit anderen Worten, Sie haben die Revision im Haus!“
Super! Auch das noch! Wieso trafen
eigentlich immer alle Unannehmlichkeiten auf einmal aufeinander?
Murphys Gesetz! Dabei hasste er
Marmeladenbrötchen.
„Ben von Lichtenfels. Guten Morgen! Lassen
Sie sich doch bitte von meiner Sekretärin ein freies Büro geben. Sie wird Ihnen
auch sonst gerne behilflich sein!“
So geisterhaft wie er erschienen war, flatterte
`Herr von Kessel auch wieder aus dem Zimmer.
Herr Heine saß in seinem Pförtnerhäuschen
und machte sich ebenfalls Gedanken um Lisa. Keine Information im Hause konnte
so geheim sein, als dass er nicht im Bilde darüber war.
Und jetzt auch noch die Revision im Haus.
Manche Tage hatten es wirklich in sich. Für sich hatte er beschlossen, bis
morgen früh zu warten und dann auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. So
eine junge, hübsche Frau konnte nicht einfach vom Erdboden verschwinden. Er
machte sich wirklich Sorgen.
Carla Benedetti betrat gerade das
Bankgebäude und zog grußlos, den Kopf im Nacken, an ihm vorbei.
Ihr würde kein Hahn nachkrähen, wenn sie
nicht auftauchen würde. Er am allerwenigsten.
In Münster dachte niemand an Lisas Arbeit
in München. Lisa am allerwenigsten. Sie stand noch immer unter Schock. Nach der
Beerdigung war der Hausarzt gekommen und hatte Lisa eine Beruhigungsspritze
gegeben.
Der Tod ihrer Schwester nahm sie schlimmer
mit, als ihre Mutter. Die hatte die Beerdigung perfekt organisiert und während
der Zeremonie Haltung bewahrt. Als Ludger Lisa sein Beileid ausgesprochen hatte
und sie dabei in den Arm genommen hatte, brach Lisa am Grab zusammen.
Ludger brachte sie sofort nach Hause und
holte den Hausarzt. Jetzt lag sie seit Stunden auf dem Sofa und schlief.
Ludger rührte sich nicht von der Stelle und
versuchte, sich auf ein Buch zu konzentrieren.
Nach dem Kaffeetrinken in einem
nahegelegenen Gasthaus kam Martha erschöpft zurück, dankte Ludger für seine
Unterstützung, und zog sich in ihr Schlafzimmer zurück.
Bei ihr würde die Trauer erst hochkommen,
wenn sie zur Ruhe kam und wieder alleine in ihrer Wohnung sein würde.
Ob der Schicksalsschlag Einfluss auf Lisas
Entscheidung nehmen würde?
Es dämmerte bereits, als Lisa langsam
wieder zu sich kam. Sie musste sich einen Moment orientieren. Ihr Blick
schweifte durch das Wohnzimmer.
Die schreckliche Wirklichkeit traf sie mit
schwerer Wucht.
Wie glücklich waren sie einmal in diesen
vier Wänden! Es wurde gelacht und gespielt. Im Herbst Drachen und Laternen
gebastelt. In der Adventszeit spielten Mona und sie Lieder auf der Blockflöte
und aßen anschließend selbst gebackenen Stollen zu heißem Kakao.
Meistens stritten sie sich, wer am
schönsten gespielt hatte, bis ihnen die Eltern versicherten, dass sie beide
prima gewesen waren.
Nie wieder!
Lisa überkam ein furchtbares Schluchzen.
Ihr Körper wurde erneut geschüttelt von den Tränen des Schmerzes.
Erst jetzt bemerkte sie Ludger, wie er
zusammengesunken im Sessel in der Ecke des Zimmers saß. Er war über einem Buch
eingeschlafen.
„Zu ihm war ich auch so gemein und er sitzt
da und passt auf mich auf!“
Die Tränen nahmen kein Ende.
Der Schmerz kämpfte ihn ihr wie ein wildes
Tier. Es trat und biss, es schlug zu und sie hatte keine Chance, sich dagegen
zu wehren.
Von ihrem Schluchzen erwachte Ludger. Er
nahm sie in den Arm und wiegte sie wie ein kleines Kind.
„Wo ist Mama?“
„Ich glaube, sie schläft.“
Lisa löste sich aus seiner Umarmung und
ging auf Zehenspitzen durch den Flur ins Schlafzimmer. Leise öffnete sie einen
Spalt weit die Zimmertür und schaute hindurch. Ihre Mutter lag auf dem Bett und
schlief.
Sie ging zurück zu Ludger.
„Ich muss mal an die frische Luft. Magst du
mich begleiten?“
Ludger nickte wortlos.
Lisa schrieb eine Notiz
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