Alles auf Anfang! (German Edition)
setzte der Hirntod ein. Aus
medizinischer Sicht ist ihre Tochter tot.“
„Aber, sie atmet doch!“
„Die Lungenmaschine hebt und senkt den
Brustkorb und so hat es den Anschein einer Eigenatmung. Wenn wir diese Maschine
abstellen, wird kein Leben mehr im Körper sein.“
Mutter und Tochter schauten sich entsetzt
an.
„So leid es mir tut, ich muss Ihnen eine
schwere Frage stellen. Hat Ihre Tochter einen Organspende-Ausweis?“
„Nein, aber ich weiß, dass sie sich immer
einen besorgen wollte.“
„Würden Sie uns die Genehmigung geben,
Organe ihrer Tochter zu entnehmen? Wir warten dringend auf ein Spenderherz und
zwei Nieren. Es ist schwer für sie, aber andere Menschen, Kinder, können
weiterleben, wenn sie ihre Zustimmung geben. Ihre Tochter Mona ist tot.“
Lisa hörte die Stimmen des Arztes und ihrer
Mutter nur wie durch Watte. Sie hatte das Gefühl, als wenn sich alles um sie
herum im Zeitlupentempo abspielte.
„Ich weiß, dass es der ausdrückliche Wunsch
meiner Tochter Mona gewesen wäre, Leben zu retten. Sie können die Organe
entnehmen!“
„Mama!“
„Lisa!“
Martha nahm ihre Tochter liebevoll in den
Arm und strich ihr über die Haare.
„Mona hätte es so gewollt. Zeit ihres
Lebens war sie hilfsbereit und aufmerksam und wäre, ohne den Gedanken an ihr
eigenes Wohl, anderen zur Hilfe geeilt. Wir wollen ihren Wunsch akzeptieren.“
„Kann ich mich noch von ihr verabschieden?“
Der Arzt nickte verständnisvoll, fast
zärtlich.
Lisa war völlig durcheinander und konnte
keinen klaren Gedanken fassen. Wie konnte ihre Mutter eine so schwerwiegende
Frage so schnell entscheiden?
„Ich danke Ihnen sehr, Frau Seiler, und
habe große Achtung vor ihrer Entscheidung. Danke. Möchten Sie ein Gespräch mit
unserem Pfarrer?“
„Nein! Ich gehe in die Kirche und bete.“
Wo nahm ihre Mutter, diese großartige Frau,
nur die Kraft her, in dieser Situation noch an Gott zu glauben?
Vielleicht war es der Glaube selber, der
ihr in dieser Situation Halt gab. Sie nicht verzweifeln ließ, in der Hoffnung,
dass es irgendwo jetzt einen Ort für Mona gab, an dem es ihr besser ging.
Ihre Zeit auf dieser Welt war abgelaufen,
ehe sie richtig begonnen hatte. Lisa wurde bewusst, dass sie ab heute ihre
Schwester schmerzhaft vermissen würde, für den Rest ihres Lebens.
Nie mehr würde sie ihr Lachen hören.
Nie mehr mit ihr reden können.
Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem sie
ihr noch so viel hätte sagen wollen.
Und was das Schlimmste war, ihre Kindheit
wurde unwiderruflich getrennt. Denn ab heute war niemand mehr da mit dem sie
Geheimnisse des Kinderzimmers teilen konnte.
Wie gerne hätte sie ihr noch gesagt, wie
lieb sie sie gehabt hatte.
Ben von Lichtenfels war nicht bester Laune.
Fassungslos zog er Bilanz. Sein Auto war im Eimer. Und zur Krönung hatte
jemand, blind vor Wut, sein Boot zerstört. Die Versicherung zahlte keinen Cent
bei Vandalismus.
Schlecht gelaunt saß er in seinem Büro und
grübelte, wer ihm das angetan haben konnte.
Vielleicht handelte es sich auch um eine
Verwechslung und eigentlich hätte ein anderer Ziel dieser Anschläge sein
sollen?
Es klopfte an seiner Bürotür.
„Guten Morgen, Herr von Lichtenfels. Frau
Seiler ist seit drei Tagen nicht an ihrem Arbeitsplatz erschienen. Niemand hat
etwas von ihr gehört und zu Hause geht auch niemand ans Telefon.“
„Herr Huber weiß auch nichts?“
„Nein, er ist gestern extra bei ihr zu
Hause vorbeigefahren. Die Wohnung war dunkel und niemand reagierte auf sein
Klingeln.“
„Merkwürdig, so hatte ich sie nicht
eingeschätzt. Obwohl, wer sieht schon hinter die Fassade eines Menschen? Was
meinen Sie, Frau Santorius? Ich bin doch auch ganz anderes, als der Eindruck
vermittelt. Mal ehrlich, oder?“
Frau Santorius wunderte sich zwar über die
Vertraulichkeit ihres Chefs, aber andererseits fühlte sie sich sehr
geschmeichelt.
„Ich bilde mir schon ein, Sie ganz gut
einschätzen zu können, Herr von Lichtenfels. Aber Frau Seiler macht mir Sorgen.
Da wird doch nichts passiert sein!?“
„Ich werde der Sache auf den Grund gehen!
Ich glaube es ist wirklich nicht ihre Art, der Arbeit ohne Entschuldigung
fernzubleiben.“
Diese Aufgabe lenkte ihn ein wenig von
seinen privaten Missständen ab.
Das Einfachste wäre, ihre Angehörigen zu
befragen.
Er ließ sich von Frau Santorius die
Telefonnummer aus Lisas Personalakte geben, die sie für den Notfall angeben
hatte.
Die Nummer ihrer Mutter in Münster.
Ben
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