Alles auf Anfang Marie - Roman
Fabrikhalle. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie unordentlich es da ist. Die Frau ist schwanger und muss wegen vorzeitiger Wehen liegen. Ich habe erst mal gespült.«
Jetzt sah er alarmiert aus. »Du warst da? Und hast direkt im Haushalt geholfen? Könnte das nicht wie ein Schuldeingeständnis ausgelegt werden?«
Ich dachte einen Moment darüber nach. Natürlich hatte mich Frau Nowakowski ein wenig in die Richtung gedrängt, wenn ich ehrlich war. Aber ich konnte es verstehen. Auf dem Foto sah sie uns einen Betrag verschenken, der zumindest eins ihrer finanziellen Probleme hätte lösen können. Aber sie hatte nicht um Geld gebeten, ich hatte ihr keins angeboten, sondern meine Hilfe, und zwar freiwillig, weil ich so ein Durcheinander einfach schlecht aushalten konnte.
»Was genau hast du denn da getan?«, wollte Henning wissen.
Ich zuckte mit den Achseln. »Ich habe Berge von Geschirr gespült und ein paar Maschinen Wäsche gewaschen. Ach ja, ich habe auch den Jungen mitgenommen und ihm bei uns die Haare gewaschen, weil er Läuse hat.«
»Das Kind war hier im Haus?«
»Die haben kein warmes Wasser. Die Wäsche hab ich auch hier gewaschen und getrocknet.«
Er schüttelte sorgenvoll den Kopf. »Das gefällt mir nicht, Marie. Du solltest keinen Kontakt zu diesen Leuten haben, damit da auf keinen Fall ein falscher Eindruck entsteht. Wenn der Junge bei uns war und im Nachhinein irgendwas Dummes behauptet, dann kommen wir in Teufels Küche.«
Ich verstand seine Position, aber ich fühlte anders. »Der Junge muss noch mal hierherkommen, Henning. Diese Läusebehandlung ist noch nicht abgeschlossen. Ich habe versprochen, dass ich ihn am Samstag wieder abhole.«
»Tu das nicht, Marie«, sagte er scharf. Es war kein Vorschlag, sondern eine Forderung. »Ruf die Frau an, sie soll das selber machen. Du musst jeden weiteren Kontakt vermeiden.«
»Aber das geht nicht! Sie kann das nicht! Und man kann doch so einem kleinen Kerl nicht die Haare mit kaltem Wasser waschen.«
»Marie!«, sagte er eindringlich. »Du machst einen Fehler. Du hast ein weiches Herz, das weiß ich, aber du kannst solchen asozialen Familien nicht helfen. Sei endlich vernünftig.«
»Ich bin vernünftig«, sagte ich beleidigt. »Und deswegen kann ich diesen Jungen nicht im Stich lassen. Er darf nicht mehr in den Kindergarten gehen, wenn diese Läusekur nicht gemacht wird.«
»Tu, was du nicht lassen kannst«, knurrte er. »Ich hoffe nur, dass du dich und uns damit nicht in gewaltige Schwierigkeiten bringst.« Er griff mit ärgerlicher Miene nach dem Zeitungsstapel, den ich ihm während seiner Abwesenheit zusammengelegt hatte, ein deutliches Zeichen seiner Missstimmung.
»Bestimmt nicht«, versuchte ich ihn zu beschwichtigen. »Aber glaub mir, wenn du wüsstest, unter welchen Bedingungen die da hausen, das könntest du auch nicht so einfach ignorieren.« Mir fiel etwas ein, das nicht nur das Thema wechseln, sondern ihn vielleicht auch etwas aufheitern würde. »Weißt du übrigens, dass der Vermieter ein alter Bekannter von dir ist? Ich hab ihn heute näher kennengelernt.«
»Tatsächlich?«, fragte er, ohne von seiner Zeitung aufzublicken. »Wer ist es denn?«
»Der heißt Hannes Hoffmeister«, verkündete ich.
Man kann nicht immer gewinnen. Und in diesem Fall hatte ich offensichtlich total ins Klo gegriffen. Henning ließ seine Zeitung sinken und sah mich an, als hätte ich gerade erklärt, ich wäre in die Linkspartei eingetreten. »Marie, heute versuchst du offensichtlich, mich systematisch fertigzumachen«, sagte er böse. »Gibt es sonst noch was, womit du mich provozieren kannst?«
»Ich wollte dich überhaupt nicht provozieren«, protestierte ich. »Ich habe keine Ahnung, warum du so wütend bist. Möchtest du mir vielleicht erklären, was dich jetzt so sauer macht?«
Er warf die Zeitung auf die Erde und stand auf. »Nein«, versetzte er. »Frag doch Hannes Hoffmeister. Ich gehe jetzt ins Bett.«
7
Am nächsten Morgen fuhr Henning früh in die Firma und kam zum Mittagessen nicht nach Hause, zog sich am Abend mit seinem Aktenkoffer an den Schreibtisch zurück, und auch am Samstagmorgen verbrachten wir ein sehr einsilbiges Frühstück miteinander. Dies war nicht unsere erste Eiszeit, aber weil nun keines der Kinder mehr zu Hause war, empfand ich sie schlimmer als sonst. Aber ich kannte ja meinen Mann und wusste, dass ich ihn durch Drängeln und Quengeln nicht schneller aus seiner inneren Emigration herausholen konnte. Im Gegenteil,
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