Alles auf Anfang Marie - Roman
Wir hatten in den letzten Tagen so spärlich kommuniziert, dass er noch gar nichts von meinem Einsatz wusste, denn solche Sachen mochte ich ihm auch nicht zwischen Tür und Angel beziehungsweise in zwei Sätzen am Telefon erzählen.
Als er dann allerdings erschien, war an ein ruhiges Gespräch nicht zu denken. Im Gegenteil. Es fehlte nicht viel, und ihm wäre Qualm aus den Ohren gestiegen. »Sag mal,wie konntest du Bernhard in diese Situation bringen?«, fragte er mich ohne besondere Einleitung ins Thema. »Sein Ruf und das Ansehen des gesamten Clubs stehen bei solchen Sachen auf dem Spiel.«
Natürlich war ich sauer auf Bernhard, der so doof war, meinem Mann die Story brühwarm zu erzählen. Aber jetzt hieß es erst mal, Henning wieder auf den Teppich zu holen. »Ich weiß, das war keine Glanzleistung«, gestand ich ein, »aber so wild war es nun auch wieder nicht. Und außerdem hab ich …«
»Was heißt, so wild war es auch wieder nicht?«, polterte er los. »Ich hätte nicht erwartet, dass man so dumm sein kann. Meine eigene Frau!«
»Na hör mal, jeder macht mal einen Fehler«, verteidigte ich mich. »Ich wollte doch nur …«
Schon wieder fiel er mir ins Wort. Henning wird nur selten wütend, aber wenn, dann richtig. Dann verbeißt er sich wie ein Pitbull und kann ganz schön unsachlich werden. »Das ist mehr als ein Fehler, Marie!«, rief er empört. »Das ist eine Gedankenlosigkeit, wie ich sie niemals von dir erwartet hätte. Mit so einer Sache kann man das Leben eines Menschen vollständig ruinieren, und du tust jetzt so, als sei das ein Kavaliersdelikt?«
»Ich habe das doch geregelt«, gab ich zurück. »Und mit Bernhard habe ich das auch geklärt. Ich dachte, das Thema wäre abgehakt. Und jetzt geht er hin und reibt dir das alles brühwarm unter die Nase?«
»Ich denke, Bernhard unterschätzt das«, sagte Henning aufgebracht. »Er hat mir die Geschichte erzählt wie eine Anekdote. Aber wenn ich mir vorstelle, was für ein Skandal daraus werden könnte! Und meine Frau ist der Auslöser! Ich weiß überhaupt nicht, wie ich dann noch erhobenen Hauptes hier durch den Ort gehen könnte.«
So langsam wich das schlechte Gewissen in mir handfestem Ärger. Ich verstand seine Gewichtung recht gut: Zuerst ging es um das Renommee des Clubs und Bernhards Ruf als Präsident, die durch mein schändliches Verhalten in Gefahr gebracht worden waren. Kurz dahinter folgten Hennings Befürchtung, dadurch wiederum selbst zum Gespött der Leute zu werden, und sein Ärger über die Dummheit einer Gattin, die man noch nicht mal allein in den Kindergarten schicken konnte. Weit abgeschlagen hingegen war die Loyalität zu der Frau, der er vor vielen Jahren versprochen hatte, in guten wie in schlechten Zeiten zu ihr zu stehen. Vielleicht waren dies seiner Meinung nach keine schlechten Zeiten, sondern ein Ausnahmezustand, über den wir damals am Traualtar nicht gesprochen hatten?
»Jetzt hör mir mal zu«, sagte ich mit einer gewissen Aggressivität. »Erstens habe ich die Sache längst geregelt. Die Mutter des Kindes hat verstanden, dass das Ganze völlig harmlos war. Zweitens war ich davon ausgegangen, dass Bernhard kein Interesse daran hat, dass diese Sache weitere Kreise zieht, also lass uns doch bitte dieses Thema begraben. Außerdem sehe ich ja ein, dass das keine Sternstunde von mir war, aber ich hätte nicht gedacht, dass du dich so darüber aufregst.«
»Ach, das hättest du nicht gedacht?«, erwiderte er. »Was glaubst du denn, was passiert wäre, wenn du angezeigt worden wärest und stündest in der Presse da als die Frau, die im Kindergarten Kinder aufgabelt, um sie älteren Männern zuzuführen?«
Hilflos schüttelte ich den Kopf. »Aber so war es doch nicht, und das weißt du auch. Das ließe sich ganz schnell aufklären, und außerdem habe ich doch wie gesagt …«
»Was hast du eigentlich dann getan?«, fragte er undsetzte sich endlich mir gegenüber. Ich wertete das als Zeichen, dass er sich ein wenig beruhigt hatte. Bisher war er wie ein Raubtier vor mir auf und ab gegangen.
»Ich habe mit der Mutter gesprochen und ihr erklärt, dass das ein Missverständnis war. Als sie das Foto in der Zeitung gesehen hat, war es ihr dann auch klar.«
Henning nickte. »Das scheinst du ja doch ganz gut hingekriegt zu haben. Kennen wir die Leute?« Vermutlich ist das die Standardfrage in einer Kleinstadt.
»Also ich kannte sie nicht. Die leben auch unter etwas schwierigen Bedingungen, in einer ehemaligen
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