Alles auf Anfang Marie - Roman
das würde es eher noch schlimmer machen. Da musste ich jetzt durch, und ich beschloss, mich nicht von meinem ursprünglichen Plan abbringen zu lassen.
Also parkte ich wie besprochen um kurz vor elf vor dem Gebäude und sah mich um. Es wäre ja praktisch gewesen, wenn Kevin schon auf mich gewartet hätte, aber das hatte ich ihm nicht ausdrücklich aufgetragen. Also machte ich mich wieder auf den etwas mühsamen Weg nach oben.
Dort traf ich aber nur Frau Nowakowski vor dem ewig plärrenden Fernseher an. »Wo ist denn Kevin?«, fragte ich sie.
Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Der wollte, glaube ich, mit Gonzalez zum Fußballplatz.«
»Aber ich wollte ihn abholen, um noch mal diese Kurgegen die Läuse zu machen«, sagte ich. »Hat er das nicht gesagt?«
Sie furchte die Stirn. »Doch, ich glaube, er hatte so was erzählt. Hab ich vergessen.«
Ich hatte eigentlich erwartet, dass sie sich auch vom Sofa aus darum kümmern und sicherstellen würde, dass ihr Sohn zur vereinbarten Zeit zur Verfügung stand. Aber nicht alle Leute dachten so wie ich, das wurde mir schon dadurch klar, dass die Küchenzeile wieder genauso aussah wie vorher.
»War eigentlich niemand von der Familienhilfe bei Ihnen?«
»Doch. Vorgestern. Die hatte aber nicht viel Zeit. Hat schnell für uns eingekauft.«
Es juckte mir in den Fingern, wenigstens rasch den Küchenbereich zu wischen, wo sich seit meinem ersten Besuch nichts verbessert hatte. Aber ich hatte Henning quasi versprochen, bis auf Kevins Haare hier nichts mehr anzufassen. Es wäre sowieso ein Fass ohne Boden, dachte ich. Solange Frau Nowakowski untätig auf ihrer Couch residierte, würde hier das Chaos regieren, und ich konnte nur hoffen, dass die Familienhelferin den Ernst der Lage erkannt hatte und für die kommende Woche ein paar Stunden mehr vorsehen würde.
Was sollte ich jetzt wegen Kevin machen? Auf ihn zu warten hatte wohl genauso wenig Zweck, wie ihn in der Umgebung zu suchen. »Ich fahre dann wieder, Frau Nowakowski. Sie können ja mit der Familienhelferin besprechen, ob die noch mal das Läusemittel einsetzt. Sie kann es bei mir abholen. Der Apotheker meinte, mit einmal Waschen wäre das noch nicht erledigt.«
»Glaub nicht, dass die das tut«, meinte sie. »Die ist ziemlich unfähig.«
So langsam machte mich ihre passive Art wütend. Ichwar mir sicher, wenn ich an ihrer Stelle gewesen wäre, ich hätte allem Stillliegen zum Trotz mehr auf die Reihe gebracht. Aber sie hing auf dieser Couch wie ein gestrandeter Wal und wartete offensichtlich ab, bis irgendwas passierte oder jemand etwas unternahm.
»Tja, ich kann nicht warten«, behauptete ich und verabschiedete mich mit innerem Zähneknirschen. Ich mag es nicht, wenn ich etwas nicht gleich vollständig erledigen kann.
Als ich mal wieder heil die Treppe hinuntergekommen war und um die Ecke bog, sah ich Hannes Hoffmeister, der gerade etwas an seiner Firmentür richtete. Weil Wochenende war, hatte er Polohemd und Latzhose gegen ein weißes T-Shirt und eine ausgeblichene Jeans getauscht.
»Sieh mal an, die Frau Overbeck«, stellte er fest. »Sie sind aber auch unermüdlich, was? Sogar heute im sozialen Einsatz?«
»Wenn Sie sich da mal nicht täuschen, Herr Hoffmeister«, gab ich etwas gereizt zurück. »Ich bin zurzeit wohl eher ermüdlich.«
Jetzt musterte er mich genauer. »Höre ich da Resignation? Haben Sie endlich kapiert, dass die Dame da oben ein ziemlich harter Brocken ist?«
Ich bemühte mich um Gelassenheit. »Wissen Sie, ich werde nicht dafür bezahlt, hier nach dem Rechten zu sehen. Ich habe nur mal ausgeholfen, das war nicht auf Dauer geplant.«
»Schade eigentlich«, meinte er. »Sie haben sich hier deutlich mehr engagiert als die von unseren Steuergeldern bezahlten Sozialfuzzis.«
In diesem Moment schoss Nuala auf uns zu. Als sie Herrn Hoffmeister sah, konnte man klar erkennen, dass sie versuchte, einen Bogen um ihn zu machen, während sie heimwärts strebte.
»Warte einen Moment«, hielt ich sie auf. »Weißt du, wo Kevin ist?«
Sie schüttelte den Kopf. »Der is mit Gonzalez weg.«
So viel wusste ich auch schon. Sie drückte sich eilig an uns vorbei und verschwand um die Hausecke.
Herr Hoffmeister sah ihr mit einem schwer zu definierenden Gesichtsausdruck hinterher. »Arme Schweine, diese Kinder«, sagte er. »Und es werden immer mehr.«
Wo er recht hatte, hatte er recht. Wobei er ja mit zu der Schweinerei beitrug, wenn er den Einsatz der Waschmaschine sabotierte. »Könnten Sie
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