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Alles auf Anfang Marie - Roman

Alles auf Anfang Marie - Roman

Titel: Alles auf Anfang Marie - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Schroeder
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komplettes Outfit für weniger als zehn Euro?«
    »Weniger als zehn Euro«, staunte ich, wie von mir offensichtlich erwartet wurde.
    »Heute ist nämlich Ein-Euro-Tag«, sagte Frau Göbel. »Deswegen war ich unterwegs, um auf dem Markt noch ein paar Flyer zu verteilen.«
    »Das heißt, heute kostet alles einen Euro?«, fragte ich nach. »Auch dieses Kostüm?« Ich hatte sofort erkannt, dass es ein Escada-Modell war. Weil ich vor zwei Jahren das gleiche gehabt hatte.
    »Nein, das nicht«, erklärte die Schwangere. Ach so, für solche Sachen gab es doch Extra-Konditionen! »Das kostet zwei Euro. Jacke ein Euro, Rock ein Euro. Möchten Sie es haben?«
    Zum Glück war es nicht meine Größe. Ich konnte ja wohl schlecht erst das Kostüm weggeben und es dann noch mal kaufen. Henning würde das kaum auffallen. Meinen Freundinnen schon.
    »Hier ist noch ein ähnliches Kostüm«, sagte Frau Göbel eilfertig. Sie langte mitten in einen anderen Ständer und zerrte es mit viel Mühe heraus. Dieses Mal nicht von Escada und in einem scheußlichen Apricot-Ton.
    »Ich suche eigentlich kein Kostüm«, sagte ich.
    »Wissen Sie«, versicherte mir Frau Göbel, »hier darf man auch nichts suchen. Hier muss man sich von dem inspirieren lassen, was man findet. Was sagen Sie dazu?« Sie quetschte den apricotfarbenen Alptraum wieder zwischen die anderen Sachen und präsentierte mir stattdessen einen giftgrünen Kaftan mit goldfarbenem Ethno-Druck. »Das Schildchen ist zwar rausgeschnitten, aber ich würde wetten, das ist aus der Sommerkollektion 2008 von Versace, meinen Sie nicht auch?«
    »Ich kenne mich da nicht so aus«, sagte ich schwach. »So was trage ich eigentlich gar nicht.«
    »Ich glaube auch, Sie sind eher der klassische Typ«, meinte Frau Göbel und hängte zu meiner Erleichterung auch den Kaftan zurück. »Wir hatten neulich doch   … warten Sie, wo ist er denn   …«
    Ich staunte über den Elan, mit dem sie zwischen den Ständern herumsuchte, ohne zu wissen, was sie eigentlichvorhatte. Mir war nur klar, dass dieser Laden so ungefähr das Unsystematischste war, das mir je untergekommen war. Eine grobe Einteilung nach Damen, Herren und Kindern reichte ja wohl nicht aus, um Kleidung egal welcher Qualität zu verkaufen. Ich hatte nur noch das Bedürfnis zu fliehen, wusste aber noch nicht so recht, wie ich das anstellen sollte, ohne unhöflich zu wirken.
    »Nadja«, sagte Frau Göbel (es klang etwas undeutlich, weil sie gerade mitten zwischen den Klamotten steckte), »wir hatten doch vorige Woche noch diesen tollen Leinenanzug von Calvin Klein reinbekommen. Ist der schon weg?«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete die Schwangere. »Könnte aber sein.«
    »Zu schade«, meinte Frau Göbel und lächelte mich bedauernd an. »Das wäre genau das Richtige für Sie gewesen. Diese klassische Schnittführung   …«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Das kann nur Calvin Klein. Vielleicht noch Jil Sander.«
    »Genau!«, rief Frau Göbel enthusiastisch. »Soll ich mal die Augen offen halten für Sie, falls wir wieder so was bekommen?«
    »Von mir aus.« Ich streckte die Hand nach meinem Koffer aus. »Ich muss jetzt wirklich   …«
    »Natürlich, ich will Sie nicht aufhalten«, sagte sie. »Schauen Sie doch demnächst wieder rein. Sie wissen ja jetzt, wo wir sind.«
    »Mache ich«, versprach ich und eilte davon. Für heute war mein Bedarf an Unterhaltung gedeckt. Erst eine gynäkologische Untersuchung, dann die nicht ganz frustrationsfreie Feststellung, dass mein nächster Lebensabschnitt nicht durch eine kreative Tätigkeit bestimmt sein würde, und dann noch dieser etwas unfreiwillige Besuch in einem muffigen, unsystematischen Kleiderladen.Gut, dass ich mich heute wenigstens bei den Nowakowskis abgemeldet hatte. Ich wollte nur noch in die beruhigende Ordnung meines eigenen Hauses.
     
    Natürlich war ausgerechnet heute der Postbote mit zwei Sendungen da gewesen, die nicht durch den Briefschlitz passten. Genau genommen muss er die dann wohl wieder mitnehmen und mir stattdessen eine Karte hinterlassen, mit der ich die Päckchen am nächsten Tag bei der Postagentur abholen kann (»Aber nicht vor 10   Uhr«   – warum bloß?).
    In Nachbarschaften wie unserer funktioniert das allerdings anders. Da wird alles ansonsten nicht Zustellbare bei der alten Frau Reuss abgegeben, die sowieso immer zu Hause ist und auf diese Weise die Berechtigung hat, die gesamte Straße von ihrem Erkerfenster aus zu beobachten. Wenn jemand nach Hause kommt, für den

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