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Alles auf Anfang Marie - Roman

Alles auf Anfang Marie - Roman

Titel: Alles auf Anfang Marie - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Schroeder
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Wunder, dass sie beschlossen hatte, sich lieber von mir versorgen zu lassen wie in einem türkischen »All-inclusive«-Hotel.
    Während Nicole noch sehr zögerlich den Frikadellenteig mischte, kam Nuala heulend vom Spielen. Ihre Stoffturnschuhe waren total durchnässt und der eine außerdem seitlich aufgerissen.
    »Was hast du denn damit gemacht?«, fragte ich kopfschüttelnd.
    »Uns is der Ball in den Bach gefallen, und ich musste ihn rausholen.« Sie zog sich die triefnassen Schuhe von den Füßen. »Und dabei bin ich abgerutscht.«
    Ich untersuchte besorgt ihre Füße, aber die waren in Ordnung. »Alles okay«, sagte ich. »Zieh dir ein Paar andere Schuhe an, ich stelle diese zum Trocknen.«
    »Aber ich hab keine anderen«, schluchzte sie.
    »Was ist denn mit den Turnschuhen von Gonzalez?«, fragte Nicole. »Die solltest du doch nehmen für die Schule.«
    »Die sind weg.«
    Nicole runzelte die Stirn. »Was heißt, die sind weg?«
    »Die sind nich mehr da. Er sagt, er weiß auch nich, wo die sind.«
    Ich nahm Nuala bei der Hand. »Komm, wir sehen mal in eurem Zimmer nach.« Meine Erfahrung lehrte mich, dass solche Dinge manchmal zwar für andere Familienmitglieder dauerhaft verschollen sind, eine Mutter mit ihrem speziellen Ortungssinn aber immer noch die Chance hat, sie zu finden.
    Im Kleiderschrank war von der Ordnung, die ich vor einer Weile geschaffen hatte, nicht mehr viel zu sehen. Nuala setzte sich auf ihre Matratze und sah fasziniert zu, wie ich Fach für Fach leer räumte, die Sachen rasch faltete und wieder einsortierte, immer in der Hoffnung, zwischen all den T-Shirts und Pullovern würde irgendwann ein Turnschuh auftauchen.
    »Du kannst das aber schnell«, stellte sie fest.
    »Jahrelange Übung«, sagte ich. Inzwischen hatte ich immerhin einen Gummistiefel entdeckt, der mir bekannt vorkam. Aber leider keinen Turnschuh, geschweige denn zwei.
    Seufzend legte ich mich auf die Erde und sah nach, was unter dem Stockbett los war. Weil da ziemlich viel Zeug lag, musste ich fast alles hervorholen: Kevins neuen Ranzen, einen Karton mit Spielzeugautos, eine angebrochene Cornflakes-Packung, einige Kleidungsstücke, ein Schulheft, einzelne Legosteine, einige leere Getränkeflaschen, eine rosafarbene Sandale.
    »Passt die dir noch?«, fragte ich, bevor ich auf die Suche nach der anderen ging.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nee. Und die andere ist auch kaputt.«
    »Dann können wir diese doch wegschmeißen«, befand ich und steckte sie zu dem anderen Müll in die Cornflakesschachtel. Etwas ratlos sah ich sie an. »Heißt das, du hast jetzt keine Schuhe mehr?« So eine Situation hatten wir zu Hause nie gehabt.
    »Weiß ich nich«, sagte sie mit großen Kulleraugen.
    Ich erhob mich mühsam und ergriff die Müllschachtel und den einzelnen Gummistiefel. »Probier mal den Stiefel an«, sagte ich.
    Sie glitt mit dem Fuß hinein. »Der geht.«
    »Dann suchen wir mal den anderen«, sagte ich und schob sie wieder in den großen Raum.
    Nuala humpelte mit dem einen Stiefel am Fuß an ihrer Mutter vorbei und öffnete eine Schranktür. »Mama, wo is der andere Stiefel, wo immer das Milchgeld drin war?«
    »Weiß ich nicht«, sagte Nicole mit tragischer Stimme und fuhr fort, das Hackfleisch mit großer Geste und wenig Effizienz zu kneten.
    »Was machst du da?«, fragte Nuala und sah mit großer Skepsis in die Rührschüssel.
    »Frikadellen.«
    »Was is das?«
    »Eine Art Hamburger«, erklärte ich ihr und öffnete ebenfalls einen Schrank auf der Suche nach dem anderen Stiefel.
    »Die kann man selber machen?«, staunte sie.
    Der Stiefel, o Wunder, befand sich wieder in dem Fach für Brot. Nuala schüttelte ihn vor dem Anziehen, und zwei Centstücke fielen heraus. »Ich geh wieder raus!«, verkündete sie.
    Ich sah ihr nach, wie sie mit den Stiefeln, die ihr doch etwas zu weit waren, davontrottete. »Hat sie jetzt wirklich keine anderen Schuhe mehr?«, fragte ich Nicole. Ich glaubte nicht, dass die Stoffschuhe noch zu retten waren.
    Die nickte finster. »Ihre Füße sind ziemlich gewachsen«, sagte sie. »Plötzlich hatte sie Größe dreiunddreißig. Und Gonzalez macht immer seine Schuhe kaputt, von dem kann sie keine erben.«
    Ich notierte mir das. Nuala: Größe dreiunddreißig, Gonzalez: Größe achtunddreißig, Kevin: Größe dreißig. Außerdem hatte ich noch eine Frage. »Warum verwahren Sie Milchgeld in einem Gummistiefel?«
    »Alte Gewohnheit«, sagte Nicole. »Ich hatte mal einen Freund, der   … Na ja, in einen

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