Alles auf Anfang Marie - Roman
ansah, wurde ich noch viel beunruhigter. Was passierte hier? War das eine Art Spiel, das noch auf den ungeklärten Themen der Ära Beatrix beruhte? Oder hatte ich Hannes, über den ich nach wie vor sehr wenig Privates wusste, ohne es zu ahnen in eine ganz ungewollte Richtung ermutigt?
Schließlich seufzte er tief und brach das unangenehme Schweigen. »Anfangs hat es mich sicherlich neugierig gemacht, das kann sein. Aber eigentlich hat es eher wenig mit Henning zu tun. Und ziemlich viel mit Ihnen.«
Oje. Wie sollte ich bloß damit umgehen, wenn er mir jetzt irgendwelche Avancen machte? Hannes Hoffmeister war zugegebenermaßen ein attraktiver Mann. In seiner Gegenwart fühlte ich mich … ernst genommen, stellte ich zu meiner Überraschung fest. Er versuchte nicht, mir irgendwas überzustülpen, so wie es oft andere Männer taten, die von Frauen eine so vorgefertigte Meinung hatten, dass man ihnen nichts wirklich Persönliches von sich erzählen konnte. Deswegen wurde man von ihnen zwar mit ausgesuchter Höflichkeit und charmanten Umgangsformen behandelt, aber das war alles nur sehr oberflächlich.
Meine Gespräche mit Hannes waren nicht oberflächlich, wurde mir klar. Von Anfang an hatten wir eine ganz eigene Art entwickelt, wie wir miteinander umgingen, und deshalb war ich auch immer wieder hierher zurückgekehrt, obwohl mir seine provokante Art nicht immer gefiel.
Ungebeten fiel mir jetzt auch noch die Bemerkung von Gonzalez ein: Ist der scharf auf Sie? Ich hatte nicht viel Erfahrung mit solchen Sachen. Irgendwie hatten Henning und ich uns all die Jahre über die Runden gerettet, ohne dass eine akute Gefahr von außen aufgetaucht war. Natürlich gab es den einen oder anderen Mann, der mich mal angegrapscht oder – durch zu viel Alkohol in seiner Selbsteinschätzung getrübt – mit dummen Sprüchen angemacht hatte. Aber das war immer von vornherein so lächerlich gewesen, dass ich es entweder schnell vergessen oder Henning später mit amüsiertem Grinsen erzählt hatte.
Hier lag der Fall anders. Ich hatte den Eindruck, als ob jetzt ich es wäre, die ihrer Einschätzung nicht mehr trauen konnte. Schlimmer noch, ich wusste nicht, was ich selbst wollte. Würde es mir gefallen, wenn ich vonHannes auch auf zwischenmenschliche Weise die Bestätigung bekam, die mir Henning in letzter Zeit mit seiner konstant schlechten Laune vorenthalten hatte?
Weil er sich selbst öfters mal Gesprächspausen gönnte, hatte er wohl auch mit mir Geduld. Mir wurde bewusst, dass wir uns schon eine ganze Weile wortlos gegenübersaßen. Und dass mein Herz ziemlich unangemessen klopfte. »Wie meinen Sie das?«, fragte ich mit trockenem Mund. Leider hatte ich nichts mehr in der Tasse, um das zu ändern.
»Inzwischen haben wir ja schon ein paar Liter Kaffee zusammen getrunken«, sagte er ganz entspannt. »Ich mag Sie, Marie. Aber ich mag nicht zusehen, wie Sie hier gegen Windmühlenflügel kämpfen.«
Das war nicht die Liebeserklärung, die ich befürchtet (oder erhofft?) hatte. »Sie finden es also total sinnlos, was ich tue?«
»Sinnlos … das würde ich nicht sagen. War das bei Don Quichotte sinnlos? Meinen Sie, Cervantes hat das so gemeint?«
Das durfte nicht wahr sein, ausgerechnet jetzt fing der Kerl an, über Literatur zu referieren? »Ich dachte immer, das sei ein Beispiel dafür.«
»Ich verstehe es eher als ein Beispiel für ein Missverständnis«, gab er zurück. »Der Held meinte, es seien Riesen, gegen die er seine Liebe verteidigen müsste. Und Sie meinen, Sie können hier eine Frau umerziehen. Das halte ich auch für ein Missverständnis.«
»Was ist es denn in Wirklichkeit?«
»Das wissen Sie doch selbst, Marie. Sie kleben gerade ein Pflaster auf einen komplizierten Beinbruch.«
Ui. So gesehen wirkte ja Don Quichotte längst nicht so mitleiderregend wie ich. »Sie können ganz schön austeilen, Hannes. Soll ich direkt nach Hause fahren und michins Bett legen oder lieber unterwegs von einer Brücke springen?«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Als ob es eine Brücke gäbe zwischen hier und Ihrem Haus. Fangen Sie nicht schon wieder so an, Marie, so empfindlich sind Sie doch gar nicht.«
»Na gut, ich habe also überdramatisiert. Aber ich bin schon ein bisschen betroffen durch das, was Sie sagen. Zumal es nicht das erste Mal ist, dass wir darüber reden.« Ich hielt ihm meine Tasse hin. »Haben Sie wenigstens noch einen Kaffee für mich?«
Er sprang auf. »Ich habe immer einen Kaffee für Sie.« Während er
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