Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Schönfeld.
Anstatt einer Antwort nickt Tom und hält dabei den Kopf gesenkt, sich dem Blues – oder was er dafürhält - übereignend. Und es wird besser, immer besser, es fließt, schwingt dahin, oh, das ist gut! Er spürt, erfährt den Rhythmus, die Tiefe dieser Akkorde, riecht den Mississippi, die Baumwollfelder, die Hitze und die Trauer.
»Das war’s!«, ruft Herr Schönfeld.
Ein abgebrochenes Em schwebt im Proberaum.
»Du machst dich, Tom. Du bist ein guter Schüler. Ich bin sehr zufrieden mit dir.« Herr Schönfeld langt hinter sich und greift einen weichen Lappen, mit dem er den Hals seiner Gitarre und die Saiten abwischt, damit diese nicht vom Fingerschweiß beschädigt werden und rosten. »Die meisten Gitarristen denken, nichts wäre einfacher, als Akkorde zu schrammeln. Das stimmt aber nicht. Es kommt auf das Schlagmuster an, auf die Umsetzung des Taktes, darauf, wie du die Saiten schlägst, alle auf einmal oder nur die unteren, wie du den Bass einsetzt, wie du betonst und synkopisierst. Wenn du das gut machst, konzentrierst auf das Stück beziehst, drei, vier Minuten durchhältst, bist du ein König. Hör dir an, wie die meisten Gitarristen Knockin’ On Heavens Door spielen. Bäh! Wandergitarre am Lagerfeuer! Aber nun spiel es mit dem richtigen Schlagmuster und du klingst wie eine vierköpfige Band und jedermann, der dir zuhört, fliegt weg vor Begeisterung. Ja, so ist das!« Seine Augen glühen. Wie immer begeistert er sich, ist ebenso engagiert privater Musiklehrer, wie er bis vor anderthalb Jahren Toms Klassenlehrer war, damals – als Tom ihn noch mit dem Nachnamen anredete. Das hat sich geändert.
»Musiker untereinander siezen sich nicht!«, hatte Herr Schönfeld vor einem Jahr gemeint und Tom die Hand gereicht. »Ich heiße Martin!«
»Ich weiß, Herr Schönfeld«, hatte Tom geantwortet und beide hatten gelacht. »Ich heiße Thomas.«
»Ach nee, ist ja ganz was Neues«, hatte Martin geantwortet.
Heute waren sie so was wie Freunde.
Und der Gitarrenunterricht war beendet.
»Du bist weiter, als die meisten nach so kurzer Zeit, Tom. Dein Fingerpicking ist elegant, deine Schlagtechnik nicht übel. Bei mir lernst du beides: den Einsatz der Einzelfinger, das gezupfte Spiel und die Struktur, den Rhythmus. Das wird dich über das Gros der Gitarristen hinausheben, die entweder nur das eine oder das andere beherrschen – wenn überhaupt.«
»Wann werde ich so spielen können wie Clapton?«
Herr Schönfeld reicht Tom den Lappen. »Niemand wird jemals spielen können wie Clapton. Dieser weiße Typ ...«, Martin Schönfeld senkt seine Stimme und gibt ihr einen schwarzen Ton »... ist die verdammt beste Kalkbacke, die es im Blues gibt, und das will was heißen, Mann.«
Tom grinst.
Martin ist ein prima Typ! Obwohl er doppelt so alt ist wie Tom, lässt er das kaum raus. Im Gegenteil, vor ein paar Monaten hatte es sich ergeben, dass Tom bezüglich Frau Marek ein ernstes, ein erwachsenes Wort mit seinem ehemaligen Klassenlehrer gesprochen hatte. Es war einfach so rausgerutscht und sehr emotional und aufgeregt rüber gekommen. Tom tat seinem Ärger darüber kund, dass Martin seine Mutter alleine gelassen habe, dass er sich eines Halbwüchsigen bediene, um seiner Mutterliebe Genüge zu tun. Da gehe so nicht, sei inakzeptabel, außerdem habe er, Tom, inzwischen ein so herzliches Gefühl zu Frau Marek entwickelt, dass er dieses Zerwürfnis nicht tolerieren wolle.
Und Tom erzählte von seinen Gesprächen mit der alten Frau, darüber, dass sie eine Entscheidung getroffen habe, die nicht gegen ihre Familie, sondern nur gegen ihre eigene Gesundheit gerichtet war. Und die Entscheidung eines Menschen – auch wenn sie einem nicht behage – habe man zu billigen, sonst sei man weder Freund noch gutes Kind. Ja, sehr erwachsen war das von Tom gewesen. Und mutig!
Martin musterte ihn mit großen Augen und ein feines Lächeln überzog das schmale Männergesicht, Augen, die zu sagen schienen: Na sieh mal einer an. Unser Klugscheißer hat Vieles von dem verstanden, was sein Vater ihm eingestopft hat.
Mit Stolz nahm Tom wahr, dass sein ehemaliger Klassenlehrer ins Grübeln kam und zwei Wochen später erfuhr er, dass Martin Schönfeld sich mit seiner Mutter versöhnt hatte und er, Tom, von den Botendiensten befreit war.
Vor zwei Monaten, es war ein beißend kalter Februarbeginn, war Frau Marek gestorben. Sie war eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht. Martin hatte sie gefunden.
Nie zuvor hatte Tom einen
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