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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Erwachsenen in seiner Gegenwart weinen erlebt. Also wusste er nicht, wie er sich gegenüber Martin anstellen sollte. Er nahm seine Gitarre, die Vater und Mama ihm geschenkt hatten, als er vierzehn geworden war, und zupfte eine traurige Melodie. Dann kamen auch ihm die Tränen. Es war ein sehr warmer Moment zwischen Junge und Mann, und währenddessen sie ihre Trauer ertrugen, spannte sich zwischen ihm und Martin Schönfeld ein freundschaftliches Band.
    So lernte Tom seinen ehemaligen Lehrer immer besser kennen.
    Erkannte dessen Eigenarten.
    Weiß nun mehr über Martins Obsession.
    Und diese hat nichts mit Musik zu tun.
    Es klopft zaghaft.
    »Das ist Gaby«, sagt Martin. »Das typische Gaby-Klopfen.« Er stellt die Gitarre zur Seite und geht dem Mädchen entgegen.
    Sie hat rotblonde Haare und ist heute ziemlich altmodisch gekleidet, findet Tom.
    »Hier stinkt’s«, sagt Gaby, rümpft die sommersprossige Stupsnase und nimmt Martin in den Arm.
    Das sagt sie immer, wenn sie in den Proberaum kommt und manchmal muss man sie regelrecht daran hindern, sofort mit Putzarbeiten zu beginnen.
    »Hier stinkt’s.«
    Tom versucht, seine Augen von Gabys großen Brüsten abzuwenden, aber das ist fast übermenschlich schwer. Verlegen spürt er, dass sich in seiner Hose etwas regt, als habe ein unsichtbarer Lustgeist in ihm einen Schalter umgelegt. Das nervt bisweilen. Immer wieder bekommt er in den unmöglichsten Situationen einen Ständer. Nicht, dass ihm an Gaby etwas liegt, schließlich ist sie drei Jahre älter als er, schon eine richtige Frau, die nichts mehr mit Jungen wie ihm anfangen wird, Jungen, die eben ihre letzten Schritte aus der Pubertät machen und allmorgendlich Pickelpuder auf die entzündeten Stellen im Gesicht tupfen. Nein, interessiert an Tom ist sie nicht, aber sie ist unzweifelhaft, oh Manno!, ein steiler Zahn und ganz schön sexy! Seitdem er diese Brüste das erste Mal gesehen hatte, aus seinem Versteck im Klassenschrank heraus, und seitdem Gaby ihren kleinen Sohn zur Welt gebracht hatte, waren diese Dinger noch größer geworden, stramm und rund. Das macht Tom nervös wie ein Rennpferd kurz vor dem Start und wieder wünscht er sich eine Freundin, eine wie Karla, eine zum Küssen und ... na ja!, eben für alles, was dazugehört. Obwohl er, gesteht er sich selbstkritisch zu, vor dem alles einen ganz schönen Bammel hat.
    Vor einiger Zeit hatte Tom im Schlafzimmer den Kleiderschrank seiner Eltern durchluchert - einfach so, aus Langeweile - und einen Schatz gehoben. Ein Buch, versteckt zwischen Bettwäsche, fiel ihm in die Hände. Die Erlebnisse der Josephine Mutzenbacher. Seitdem klaut er öfter, wenn er alleine in der Wohnung ist, das Buch aus dem Schrank und liest mit roten Ohren und pochendem Herzen die Geschichte des berühmten Freudenmädchens, eine Lektüre, die ihn selten über die nächsten Seiten bringt, so sehr nimmt sie ihn in Anspruch. Theoretisch weiß er, was dieses alles bedeutet. Praktisch kann er es sich wenig vorstellen, wünscht sich aber kaum etwas sehnlicher.
    »Wo ist der kleine Ingo?«, fragt Martin.
    Wie kann man heutzutage ein Kind Ingo nennen? Um Himmels willen, findet Tom.
    »Bei Oma. Sie kümmert sich um ihn«, entgegnet Gaby und zieht sich das viel zu enge Oberteil am Bund stramm, was Herr Schönfeld mit unverhohlenem Missmut quittiert.
    Vor zwei Jahren hatte er begonnen, Verantwortung für seine ehemalige Schülerin zu übernehmen. Ein Junge aus Gabys Parallelklasse hatte das Mädchen geschwängert, was Herr Schönfeld gerüchteweise zu Ohren gekommen war, ebenso wie Tom, der sich im Klassenschrank versteckt hatte und nicht ahnen konnte, um was es ging.
    Gaby hatte schon einen Termin bei einer Engelmacherin, und als Herr Schönfeld davon Wind bekam, wurde er fuchsteufelswild. Erst ein Jahr zuvor war eine Schülerin bei einem illegalen Eingriff verstorben. Also handelte Herr Schönfeld, wie es seine Art war: Umgehend und engagiert!
    Er hatte Tom davon erzählt, ohne Namen zu nennen.
    Hatte erzählt, wie er das Mädchen und deren Eltern, den Kindesvater, sowie dessen Eltern an einen Tisch geholt hatte. Es gab Schreierei und Tränen und Gaby erhielt eine saftige Ohrfeige von ihrer Mutter, einer einfachen und rechtschaffenen Frau. Man stellte Gaby vor die Wahl, das Kind zu bekommen oder eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Da war was los und Herr Schönfeld hatte alle Hände voll zu tun, dass das Thema nicht ausuferte. Schließlich beschloss die Familie, sich gemeinsam um das Kind zu

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