Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
in ihrem grauen Kostüm prima machen, in einem Haufen zerplatzter Apfelsinen, auf dem Rücken zappelnd wie ein Frosch mit Haarspange. Dann könnte man sie Obstkorb nennen.
Der einzige Lehrer, den er schätzt, ist sein Klassenlehrer, Herr Schönfeld, Deutsch und Kunst. In diesen Fächern brilliert Tom. Da schreibt er gute Noten. Herr Schönfeld weiß, dass Tom Schriftsteller werden will, und gibt sich besondere Mühe mit ihm. Und was das Zeichnen, Basteln und Malen angeht, hat Tom ein Fingerchen, das Herrn Schönfeld immer wieder Begeisterung entlockt. Nur leider, so Herr Schönfeld, kann er nichts an den schlechten Noten ändern, die Tom in Latein und Mathe hat. Auch wenn er in den Lehrerkonferenzen ein gutes Wort für Tom einlegt, richtet das nicht viel aus. Stimmt, weiß Tom. Herr Schönfeld ist beim Kollegium nicht gut angesehen, denn er ist erst fünfundzwanzig Jahre alt, trägt Nietenhosen, hat einen Bürstenschnitt wie ein amerikanischer GI und fährt ein Motorrad. Da gibt’s gehörig Gemunkel.
Die schlechten Noten reichen zwar nicht fürs Sitzenbleiben, werfen jedoch einen Schatten auf den gesamten Leistungsstandard von Tom Wille. Alles, so Herr Schönfeld, was Tom jetzt nicht lernt, kann er später nicht mehr nachholen. Und beim Abitur wird wieder vieles, vieles gefordert. Die Versagerquote liegt bei 40 Prozent. Und was sagen Toms Mutter und Vater zu dessen Leistungen? Sind die beiden nicht sehr enttäuscht? Beim nächsten Elternsprechtag wird ein ernstes Gespräch vonnöten sein, wenn nicht sogar vorab ein blauer Brief geschickt wird.
Herr Schönfeld hat recht, weiß Tom. Wenn es nach dem ginge, würde Tom nur Einser und Zweier schreiben. Wäre da nicht ein klitzekleines Problem:
Tom verabscheut die Schule.
Er ist nicht bereit, Dinge zu tun, die ihm keinen Spaß machen. Er lernt gerne, oh ja! aber nur Dinge, die seine Aufmerksamkeit wecken und davon gibt es hier viel zu wenig für ihn. Was interessieren ihn Kriegsdaten und Flusslängen, welcher Feldherr wen besiegt hat, irgendwann vor fünfhundert Jahren oder wie viel Quadratmeter Fläche der Jupiter hat?
Also muss er Oberstudienrat Mencke reinlegen.
Das geht folgendermaßen:
Die Klassenarbeitshefte, für jedes Fach eines und schön dick, werden im Klassenschrank deponiert, da, wo auch das Klassenbuch liegt, in dem Lob, Tadel und spontane Benotungen eingetragen werden. Eines davon ist das von Tom.
Obwohl es den Schülern streng untersagt ist, den Klassenschrank zu öffnen, hat er das schon zwei Mal praktiziert. Das kann einen Schulverweis zur Folge haben.
Bei schlechten Arbeiten fälscht er die Unterschrift seines Vaters und legt diese Lehrer Mencke vor. Später reißt Tom die Heftseiten mit den schlechten Noten raus, versteckt sich auf der Toilette, schreibt die Arbeit korrigiert neu und verändert mit einem roten Stift die Benotung. Diese Arbeit legt er seinen Eltern vor, die das Ergebnis gegenzeichnen. Bei der ersten Arbeit ist die Unterschrift falsch, bei der korrigierten Arbeit ist die Unterschrift richtig.
Danach verschwindet das Heft wieder im Klassenschrank. Auf diese Weise bekommen Papa und Mama die Mathearbeiten immer etwas verspätet zu Gesicht, was nicht weiter schlimm ist, denn so sind alle zufrieden und der Familienfrieden stimmt.
Zum Halbjahresende nimmt Mencke die Hefte vor der Zeugnisbenotung mit nach Hause und zur Lehrerkonferenz, berechnet er den Notenschnitt, fügt seine spontanen Bewertungen hinzu, und so, hofft Tom, bekommt er eine gute Zeugnisnote. Die einzige Gefahr könnte darin bestehen, dass Mencke die Fälschung erkennt. Das ist bei der Vielzahl der zu überprüfenden Arbeiten und Noten unwahrscheinlich, außerdem hat Mencke eine Schrift, die Tom kinderleicht kopieren kann.
Selbstverständlich achtet er darauf, nicht nur Einser zu schreiben. Heute wird er ein mangelhaft in ein befriedigend ändern.
Tom hat heute ein mulmiges Gefühl.
Als wenn eine innere Stimme ihn warnt. Als wenn ein Seismograf ganz feine Signale auffängt. Als wenn ihm etwas über den Nacken streicht, ganz sanft. Als wenn er träumt und gleich erwacht. Als wenn ...
Noch vier, fünf Meter, am Lehrerzimmer vorbei. Hoffentlich öffnet sich nicht die Tür. Irgendwo brüllt ein Lehrer. Aus dem Klassenraum links klatscht es. Aha, da hat es mal wieder eine Ohrfeige gesetzt.
Obwohl das Gerücht umgeht, es sei den Lehrern untersagt, ihre Schüler zu züchtigen, halten sich nur wenige daran. Besonders Oberstudienassessor Mokkel hat da einen feinen
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