Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
möchte er sich nicht, also ist Tom mit drei, vier Zügen bei der Treppe, die er geschwind hochklettert. Er schüttelt sich das Wasser aus den Haaren und ohne darüber nachzudenken, schiebt er sich zwischen den Dunkelhaarigen und Karla.
Mit Karla im Rücken, ihren Körper ganz nah bei seinem – spürt er nicht sogar ihre Bikinikörbchen an seinen Schulterblättern? – sieht er dem Südländer geradewegs in die Augen. Augenblicklich bestürmt Tom eine Angst, wie sie eisiger nicht sein kann. Himmel noch mal, in was hat er sich da reingeritten? Wie kommt er da wieder raus? Das riecht entschieden nach Zoff!
»Lass’ sie in Ruhe«, hört er sich sagen. Seine Lippen sind wie Schwämme, seine Worte wie blubberige Pupse in der Badewanne und ganz weit weg.
Der Mann sagt etwas auf Türkisch und setzt auf Deutsch hinzu: »Hau ab oder isch masch dich alle.« Er spricht sehr gut Deutsch, ja, das tut er.
Um Tom versinkt die Welt. Jede Bewegung ist ausgeschaltet, Stimmen verklingen, Stille liegt wie zäher Sirup über dem Schwimmbecken, sogar Karla existiert nicht mehr, sondern nur Tom und der Türke.
Tom zuckt nicht mal mit den Wimpern, sondern wiederholt: »Las’ sie in Ruhe!«
Wer den ersten Schlag tut, gewinnt! Warte nie zu lange, erinnert er sich an Vaters Anweisungen. Und Vater hat er einen geballert, der sich gewaschen hatte. Gegen Vater ist dieser Türke eine Witzfigur. Erst ist der Wille da, dann folgt die Ausführung. Tom nimmt noch wahr, wie sich seine Hand zur Faust ballt, seine Kühnheit blitzschnell den Befehl zum Schlag gibt, da reißt ihn jemand bei den Schultern so vehement zwischen dem Türken und Karla weg, dass Tom strauchelt und nur Millimeter neben einer älteren Dame ins Wasser klatscht, was diese mit Zetern quittiert und was dem Bademeister einen gellenden Triller entlockt. Tom ignoriert die Warnung, prustet geschlucktes Wasser aus, ist mit einem Zug am Beckenrand, platscht die Handflächen auf den Stein und zieht sich mit einer einzigen fließenden Bewegung aus dem Wasser hoch.
Verblüfft erfasst er, wer ihn weggeschubst hat und nun seinen Platz eingenommen hat. Es ist Karlas Freund aus der Sekunda, der Schönling, vor dessen Füßen zwei fallengelassene Eistüten auf den Steinen glitzern.
Karlas Freund öffnet den Mund, will etwas sagen und alles geht blitzschnell.
Der Türke macht eine jähe Bewegung und Karlas Freund schaut verblüfft drein, als wundere er sich, wie schnell er sich eine Ohrfeige eingefangen hat. Als Nächstes setzt es einen harten Schlag in seine Magengrube. Karla weicht zurück, Tränen schimmern in ihren schönen Augen, ihre weichen Lippen beben und Tom möchte wetten, dass sie gleich losschreien wird. Stattdessen beugt sie sich über ihren Freund, der in die Knie gesunken ist, eine Hand auf seiner Schulter, ihren Blick dem Türken zugewendet, unter den Tränen eiskalter Hass.
Tom traut seinen Augen nicht, als er sieht, was nun geschehen wird. Die Sache ist eigentlich gelaufen, Karlas Freund besiegt, aber der Kerl macht noch weiter: Er holt zu einem entsetzlichen Tritt gegen Karlas Freund aus, der wehrlos am Boden kauert und seinen Schmerz herausstöhnt, nach Luft schnappt. Einen winzigen Moment sehen sie sich an - Karla und Tom. Selbstverständlich weiß sie, wer er ist, denn ihr galt dieser vermaledeite Liebesbrief. Karla hat ihre Wahl getroffen. Und der Gegenstand ihrer Wahl schwebt in Gefahr. Tom stellt sich vor, der Schläger sei einer von denen, die eine Lederpocke meterhoch in den Himmel dreschen können, ohne sich den Fuß zu verletzen.
So ausgedehnt kann der Bruchteil einer Sekunde sein, ein Zeitraum, in dem der herbeieilende Bademeister einen Schritt macht und die ältliche Dame im Schwimmbecken zum Luftholen ansetzt. Hinlänglich Zeit, um eine Entscheidung zu treffen.
Wie ein Löwe springt Tom den Türken an. Seine Arme und Fäuste wirbelnd wie Schlegel. Seine Handballen treffen auf ölige Haut, auf Behaarung – bah, wie ekelig das ist! - der Türke ist aus dem Konzept gebracht, strauchelt, fasst sich jedoch augenblicklich und nun weiß Tom, dass Karlas Freund zwar vorerst außer Gefahr ist, das Blatt sich aber nun gegen ihn gewendet hat. Jetzt wird er Keile kriegen, es sei denn, der blöde Bademeister kommt endlich und greift ein.
Stattdessen taucht wie aus dem Nichts ein anderer Südländer auf und versetzt Toms Gegner einen klatschenden Hieb auf den Hinterkopf, sodass man meint, die ganze Badeanstalt halte den Atem an. Der Geschlagene reibt sich den
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