Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Oder auf den Rücken liegend in die knallige Sonne blinzeln, die ihm die Pickel aus dem Gesicht ätzen wird, wenn er nur genug Geduld mitbringt. Das ist Blödsinn, weiß er, also atmet er tief ein und sagt: »Wer kommt mit ins Wasser?«
Minuten später tollen sie im Nass, so weit dies bei der Enge geht. Frank und Lotte haben auch schnell die Nase davon voll, sich unablässig vor Kindern, die entgegen den Befehlen des Bademeisters mit angezogenen Beinen vom Beckenrand springen, in Sicherheit zu bringen.
»Mama holt eben das Portemonnaie, dann gehen wir uns was trinken«, sagt Vater.
Typisch Erwachsene!, weiß Tom aus Erfahrung und sieht den beiden hinterher. Ein paar Minuten im Wasser, ein halbes Stündchen in der Sonne braten, dann dahin, wo die Tische stehen. Nachher sind sie lustig, entspannt und wohlgelaunt. Dann wird viel gelacht und gealbert, manchmal Federball gespielt und lecker gegessen. Erst mal ein oder zwei Bier kippen. Das machen sie immer, weil es anscheinend zum Wohlfühlen dazugehört. Und im Sonnenschein, in der Hitze knallt’s noch besser! Sollen sie doch. Tom hat ein paar Mal am Bier genippt, aber es schmeckt ihm nicht, ist bitter und säuerlich gleichermaßen. Ich werde so etwas niemals trinken!, versichert er sich. Dann schon lieber Cola oder Apfelsaft. Mama meint, das Aderngeäst, rotsaftige Flüsschen auf der fleischigen Landkarte von Herrn Knopps Zinken kommt vom Saufen. Bäh, wie ekelig!
Vater duscht sich und Mama eilt über die Liegewiese davon.
Tom macht zwei Züge, hält sich am Rand fest und schnaubt das Wasser aus den Nasenlöchern. Er hält sich mit den Zehenspitzen an der Haltestange fest, legt sich mit dem Rücken auf die Wasseroberfläche und schließt genüsslich die Augen vor dem tropfengebrochenen Glitzern der Sonne. Er liebt Wasser, schwimmt und taucht gerne, eine Beschäftigung, die seiner schlanken Physiognomie entgegenkommt.
Er öffnet die Augen, winkelt seine Leibesmitte an, streckt die Hände aus nach der Stange und sieht ...
... wie ein Südländer auf ein Mädchen einredet, dieses am Oberarm festhält, obwohl es zweifelsohne damit nicht einverstanden ist. Da Tom gerade eben den Kopf über den Beckenrand streckt, sieht er aus nächster Nähe, dass der Südländer dem Mädchen auf die Zehenspitzen tritt. Das Mädchen macht einen Sprung zurück und jammert. Zwar dreht sich der eine oder andere Badegast nach den Zankenden um, aber niemand schreitet ein. Sollen die doch ihren Zoff untereinander austragen! Das Mädchen sieht aus wie sechzehn oder siebzehn, der Mann könnte ihr Freund sein, nicht wahr?
Das Opfer – vor Schreck lässt Tom die Haltestange los und taucht einen Moment lang unter – das Opfer ist Karla, jene Schöne aus der Parallelklasse, vierzehn Jahre alt, sehr reif für ihr Alter, jene Schöne, die er nie erreicht hat, weil sie mit einem Adonis aus der Sekunda zusammen ist, einem der schon sechzehn ist. Allerdings hält hier nicht der Sekundaner Karla am Arm fest, sondern ein Südländer, der mindestens fünfundzwanzig ist.
Tom traut seinen Augen nicht. Karla weint.
Noch immer schreitet niemand ein, denn Streit, Gebrülle, sogar Schlägereien sind in der städtischen Badeanstalt nichts Seltenes. Gewohnheitsmäßig geht Tom Auseinandersetzungen aus dem Wege. Er weiß, an welchen Ansammlungen er sich vorbeistiehlt, um, welche Gruppierungen er einen Bogen macht, weil diese nur darauf aus sind, Jüngere zu döppen oder anderweitig zu striezen. Man entwickelt mit der Zeit ein Gespür dafür. Ganz schlimm ist es, wenn irgendwelche Schaumacher auf dem Dreier posieren und Typen mit ihrer großen Klappe das Geschehen mit bekloppten Sprüchen kommentieren. Da gibt es Männer, die man Rocker nennt, wilde Typen mit Bärten und schwarzen Sonnenbrillen. Wenn deren Motorräder vor der Badeanstalt brummen und geparkt werden, packen sogar Erwachsene ihre Sachen ein und hauen ab.
Und was Südländer angeht, hält man sich besser raus, wenn die Ärger machen. Es geht das Gerücht, die seien schnell mit dem Klappmesser dabei, obwohl Tom sich fragt, wo dieser Kerl das versteckt haben soll: In seiner engen Badehose vielleicht?
Was nun geschieht, kann Tom sich schon wenig später nicht mehr erklären. War es der Traum vom lodernden Feuer? Der Wunsch ein Held zu sein? Unsinniger Wagemut? Himmelschreiender Wahnsinn?
Die Kraft seiner Arme reicht nicht aus, sich am Beckenrand hochzuziehen und blamieren, indem er wie ein gebrechlicher Frosch auf der Beckenkante zappelt,
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