Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
die Höhe geschoben und Herr Schönfeld winkt ihm, einzutreten.
»Es wird Zeit, dass du eine wichtige Bekanntschaft machst«, voraussagt er. Sie klettern über allerlei Gerümpel und sind in einem Kellergang, der noch eine Etage tiefer führt, wo es modrig riecht.
»Da entlang«, weist Herr Schönfeld seinen Schüler.
Tom drückt die Tür auf. Es stinkt nach Bier und wer weiß was noch, das es ihm den Magen umdrehen will, aber nur einen Moment lang, denn desgleichen ist diesem Geruch eine erregende Komponente inne, die sich Tom nicht erklären kann, außer das es nach Musik und erwachsen riecht.
Da steht ein Schlagzeug, schwarze Lautsprecherboxen, unterschiedliche Gitarren auf Ständern, eine Orgel, Kästen, an denen Lämpchen blinken und dicke Knöpfe funkeln, eine knallrote Couch mit Brandflecken, ein Nierentisch, auf dem ein Aschenbecher überquillt, und zwei, nein drei wackelige Stehlampen, die ein diffuses Licht verbreiten. An den Wänden Bilder von den Beatles, den Rolling Stones, von Elvis und Musikern, die Tom kein Begriff sind, bunte Plakate mit drilligen Farben, die eine surreale Leidenschaft ausstrahlen, alles in allem ein abenteuerliches Kunterbunt, das Tom umgehend in seinen Bann zieht, als hätte er einen fremden Planeten betreten, dessen Bewohner mal eben einkaufen gegangen sind. Es ist der Planet der Kreativität! Hier gelten andere Gesetze, erwachsene Gesetze. Nicht das erste Mal wünscht Tom sich, endlich aus den Jugendschuhen zu wachsen.
»Willkommen bei Jimmy and the Starshookers«, sagt Herr Schönfeld. »Die Anderen kommen etwas später und leider wirst du die heute nicht kennenlernen. Heute nicht, aber morgen oder übermorgen vielleicht. Das hier ...« Er macht eine übergreifende Bewegung. »Gefällt es dir?«
»Hier wird Musik gemacht«, sagt Tom.
»He, setz dich mal. Ich habe einen Kassettenrekorder hier. Kennst du das?«
Nein, so etwas kennt Tom nicht. Er setzt sich und sinkt tief in dem betagten Polster ein. Herr Schönfeld hält etwas hoch, das aussieht wie eine flache Zigarettenschachtel. »Das sind Kassetten, die man immer wieder neu bespielen kann. So wie ein Tonbandgerät, nur dass die Spulen hier in einem Gehäuse sind und kinderleicht zu wechseln. Schwupp schwupp!, kein Gefusel und Gehampel mehr wie bei diesen blöden großen Spulen, die sich immer verheddern. Sogar der Klang ist ganz passabel. Ich habe ein paar Musikstücke von Langspielplatten aufgenommen, die du dir unbedingt anhören musst, während ich noch etwas für deinen Botengang vorbereite. Die Namen der Musiker wirst du später kennenlernen. Es genügt, wenn du den Sound auf dich wirken lässt und mir hinterher sagst, wie du das empfunden hast.«
Schon donnert Musik los, harte Klänge, wie Tom sie noch nie gehört hat. Vier, fünf prägnante Gitarrentöne.
Hey Joe, singt ein Mann, der eine rundweiche Sprechstimme hat, Hey Joe, wher’re you going with the gun in your hand? Dann hört man eine Gitarre, die weint und klagt, stöhnt und heult, quengelt und seufzt, schlichtweg spricht, sodass es Tom heiß den Rücken herunterläuft. Das hört sich ganz anders an als alles, was er bisher von Radio Luxemburg kennt, weniger glatt und sauber - viel rauer, wie eine flehende Stimme, wie eine tragische Geschichte und diese trifft ihn mitten ins Herz, bringt etwas in ihm zum Schwingen, das tief verhüllt lag.
Danach ein uferlos wirkendes Musikstück, eine hell tönende Gitarre, die ganz anders klagt als die vorherige, sehr elegant und filigran schwingend, wie Sternenstaub aus dem Weltall.
Irgendwer drischt so vehement auf sein Schlagzeug, dass Toms Magen auf und nieder hupft, Basstöne dringen ihm durch Mark und Bein und alles bekommt eine Dynamik, die unerhört ist.
Eine kleine Pause, und es geht weiter.
Exotische Geräusche, orientalisch zischendes Schweifen und eine weiträumige Gitarre, die zirrende Melodienbögen spannt – wobei die Töne von links nach rechts und zurückwandern, wie ein Pingpongball, links, rechts, dann bleibt’s in der Mitte zwischen den Lautsprechern stehen und zurück, was so unfassbar klingt, dass Tom erbebt und er fragt sich, wie so etwas möglich sein kann, welche Zauberei hier im Spiel ist - und eine Stimme, die verträumt und anklagend gleichermaßen ist. Danach eine Frau, sehr rau, fast wie ein Mann singend, sehr intensiv, so das man Schweiß zu riechen meint, der Rhythmus treibend, und sie singt, wie man von Schmerzen erzählen würde oder von Liebe oder von Liebe, die schmerzt,
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