Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
Marek in diesem Moment aussieht. Etwas in ihm - Oma Käthe würde es Aufsässigkeit nennen - fordert ihn auf, sich zu wehren. Nun schlägt er sich schon seine Zeit um die Ohren für diese, diese blöde Alte und jetzt wird er auch noch von ihr ausgemotzt. Das muss er sich nicht bieten lassen, nein, das muss er nicht!
»Den ganzen anderen Mist hast du eingekauft, Brot, Limonade, Wurst und Käse, aber ausgerechnet die Zigaretten hast du ... hast du ...« Sie spuckt das Wort aus wie alten Kautabak: »Vergessen!«
»Ja, Frau Marek.«
»Was bezweckst du damit? Hast du Angst, dass mir noch ein Glied abfällt? Ist es das? Sorgst du dich um die alte Marek? Oder willst du, dass ich dich entlasse und zu diesem Narren Schönfeld zurückschicke? Dass ich mir von ihm einen neuen Boten bringen lasse?«
»Reden Sie nicht so von Herrn Schönfeld«, verteidigt Tom seinen Lehrer.
»Sei nicht so frech und bring mir den Aschenbecher. Vielleicht finde ich noch ein paar Kippen, die ich mir anstecken kann. Nun spute dich schon, Junge, und stell endlich diese verfluchten Einkaufstaschen ab, die reißen dir ja die Arme raus, nun spute dich, gut so, nun gib schon her, gib her, Himmel! Bist du denn zu gar nichts nütze? Nun gib schon - na also! In der Küche ist Kakao. Gehe und bediene dich.« Sie fummelt einen abgerauchten Stummel aus dem Aschenbecher und zündet diesen an. Sie stößt den Qualm aus und Erleichterung glättet ihr hageres Gesicht. »Was stehst du da rum? Glaubst du etwa, ich fresse dich, nur weil ich mal etwas lauter rede? Womit, wenn ich dich fragen darf, sollte ich dich fressen?« Sie bleckt ihre Zähne und Tom sieht braune Reste eines Gebisses und Lücken, die nicht geschlossen sind.
Bäh, wie ekelig! Tom wendet sich ab, und Frau Mareks Blick bohrt sich in seinen Rücken wie zwei tote Finger, die kalt auf die Haut drücken, direkt oben im Nacken, wo die Wirbelsäule anfängt, was dazu führt, dass sich Tom schüttelt wie ein frierender Hund.
Nachdem sie den zweiten Stummel geraucht hat, sieht sie wesentlich entspannter aus und winkt Tom zu sich, der angefangen hat die Taschen auszuräumen und soeben dabei ist, den 10-Mark-Schein, den er zusätzlich zum Einkaufsgeld von Herrn Schönbett bekommen hat, in den Tiefen seiner Hosentasche zu suchen, wobei seine Hände zittern, weil er sich ungerecht behandelt fühlt und wütend ist und gleichermaßen Schiss hat vor dieser garstigen Frau.
»Setz dich hin, Junge.«
Er zögert.
»Nun schlag keine Wurzeln und setz dich hin!«
Er gehorcht resigniert und hockt sich auf den Rand des wackeligen Korbstuhls. Er legt seine Handflächen auf die Oberschenkel und sein Blick wandert hier hin und dort hin. Man sollte mal lüften, lenkt er seine Gedanken ab, man sollte mal Licht hier rein lassen und der Kühlschrank müsste auch mal ausgewaschen werden, denn der stinkt und die Toilette könnte auch sauberer sein. Zwar wirkt auf den ersten Blick alles aufgeräumt, aber auf den Zweiten merkt man, dass Frau Marek die Beine fehlen.
»Soll ich Ihren Kühlschrank auswaschen?«, entfährt es ihm.
Frau Marek kriegt den Mund nicht mehr zu. Sie blinzelt, starrt Tom an, sucht nervös nach einem weiteren Stummel, dann ziehen sich ihre Lippen in die Breite und erst jetzt erkennt Tom, dass sie lächelt. Sie wackelt mit dem Kopf, eine Mischung aus Nicken und Verneinen und schließlich sagt sie: »Du bist ein guter Junge. Vergesslich zwar, aber ein guter Junge.«
»Ich ... ich laufe erst und hole neue Zigaretten, gleich zwei oder drei Packungen, und ich beeile mich auch.« Nur raus hier und das ist das letzte Mal. Die Alte ist doch völlig bekloppt! Sie hat offensichtlich Spaß daran, Jungen zu erschrecken. Und das hat er nicht nötig, hat er nicht! Schließlich ist er dreizehn, fast vierzehn, und kein kleines Kind mehr, einer der Dickens und de Saint-Exupery liest und mit seinem Vater über Literatur und Kunst diskutiert und schon Geschichten veröffentlicht hat, jawohl!
»Ein guter Junge bist du.« Sie hat sich fürs Nicken entschieden.
Wäre ich zwei, drei Jahre älter, wüsste ich, was zu tun wäre, garantiert, denkt er. Dann würde ich sie anschreien und einfach gehen, tschüss, Frau Marek! Hol dir deine blöden Zigaretten alleine. Dann kriegst du wenigstens mal etwas Farbe ins Gesicht, du oller Totenkopp!
»Herr Schönfeld war ein guter Junge, genauso wie du einer bist«, sagt Frau Marek und streicht mit einer jungmädchenhaften Geste ihre Haare zurück, dieses glatte federleichte Weiß, das
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