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Alles auf Anfang

Alles auf Anfang

Titel: Alles auf Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benioff David
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schnürte seine Stiefel auf und zog sie aus, und die nassen Socken ebenfalls. Er leuchtete mit der Taschenlampe auf seine Zehen und wackelte mit ihnen. Sie waren noch alle da. Er hatte sie lange nicht gesehen.
    »Tja«, sagte Surchow und richtete sich auf. »Dann wollen wir mal das Huhn holen.«

    Sie aßen von edlen Porzellantellern, mit silbernen Gabeln und Messern mit Holzgriff, am langen Tisch des Speisezimmers. Die Sonne begann aufzugehen. Der Kristallkronleuchter über dem Tisch brach das Licht und warf bunte Muster auf die hellblaue Tapete. Nikolais blonde Puppe saß auf dem Stuhl neben ihm.
    Das gebratene Huhn war im Kühlschrank trocken geworden, aber nicht verdorben. Sie nagten die Knochen ab, saugten das Mark heraus. Die Soldaten hatten eine noch fast volle
Wodkaflasche im Gefrierfach entdeckt, und sie tranken aus schweren Bechergläsern, während sie durch die Fenster auf das Tal blickten, das sich vor ihnen erstreckte.
    Der Schnee und die Bäume, der gefrorene See in der Ferne, alles sah so schön aus, so harmonisch und rein. Nikolai entdeckte einen Adler und machte die anderen auf ihn aufmerksam; alle verfolgten, wie der Vogel hoch über der Talsohle dahinglitt. Als sie mit dem Essen fertig waren, schoben sie die Teller in die Tischmitte, lehnten sich auf ihren Stühlen zurück und rieben sich die Bäuche. Sie ließen eine Salve Rülpser los und grinsten sich an.
    »Nun, Aleksandr«, sagte Nikolai, der mit dem Daumennagel in seinen Zähnen herumstocherte. »Hast du eine Freundin?«
    Leksi trank noch einen Schluck Wodka und ließ den Alkohol einen Moment im Mund brennen, bevor er antwortete. »Eigentlich nicht.«
    »Was heißt das, ›eigentlich nicht‹?«
    »Das heißt nein.«
    »Aber du hast schon mal mit einer Frau geschlafen?«
    Leksi rülpste und nickte. »Hie und da.«
    »Jungfrau«, sagte Surchow, der mit einem Messer seinen Namen in die Mahagoniplatte schnitzte.
    »Nein«, sagte Leksi wenig überzeugend. Er war kein Lügner, was jeder irgendwann herausfand. Im Augenblick fühlte er sich zu wohl und zu satt, um sich ärgern zu lassen. »Ich habe schon mit drei Mädchen geschlafen.«
    Nikolai zog die Augenbrauen hoch, als wäre er von dieser Zahl beeindruckt. »Dann bist du bei euch daheim bestimmt eine Legende.«

    »Und ich habe schon elf geküsst.«
    Surchow rammte sein Messer in den Tisch und brüllte: »Das ist gelogen!« Dann kicherte er und trank noch einen Wodka.
    »Jawohl, elf«, wiederholte Leksi.
    »Deine Mutter mitgezählt?«, fragte Surchow.
    »Ich küsse sehr gut«, sagte Leksi. »Das haben alle gesagt.«
    Nikolai und Surchow sahen sich an und lachten. »Großartig«, sagte Nikolai. »Wir haben Glück, einen Experten unter uns zu haben. Würdest du es mal vorführen?« Er packte die Puppe bei den Haaren und warf sie Leksi zu, der sie auffing und in ihre blauen Glasaugen blickte.
    »Ich mag keine Blondinen«, sagte Leksi. Die anderen Männer lachten, und Leksi war sehr zufrieden mit dem gelungenen Witz. Er lachte ebenfalls und trank wieder einen Schluck.
    »Zeig’s uns«, sagte Nikolai. »Bitte.«
    Leksi fasste die Puppe hinten am Kopf und beugte sich vor, um ihre gemalten Porzellanlippen zu küssen. Er hielt die Augen geschlossen. Er dachte an das letzte richtige Mädchen, das er geküsst hatte, die Elfte, am Abend bevor er Soldat wurde.
    Als Leksi die Augen öffnete, stand Nikolai, die Hände in die Hüften gestützt, stirnrunzelnd neben ihm. »Nein«, sagte er. »Wo bleibt die Leidenschaft?« Er packte die Puppe bei den Schultern und riss sie Leksi aus den Händen. Er starrte zornig in das Gesicht der Puppe. »Wen liebst du, Puppe? Den Aleksandr? Nein? Oder mich? Ich glaub dir nicht. Wie soll ich dir trauen?« Er nahm das Gesicht der Puppe in beide Hände und küsste sie mit aller Macht.

    Leksi war beeindruckt. Der Kuss war viel besser, gar keine Frage. Er wollte es noch einmal versuchen, doch Nikolai schleuderte die Puppe weg. Sie landete auf dem Rücken auf der eichenen Anrichte. Surchow klatschte und pfiff, als hätte Nikolai gerade das entscheidende Tor für ihre Mannschaft geschossen.
    » Das ist ein Kuss«, sagte Nikolai und wischte sich mit dem Handrücken die Lippen ab. »Du musst immer so küssen, als ob Küssen morgen verboten würde.« Er schnappte sich die Wodkaflasche und sah, dass sie leer war. »Surchow! Du versoffenes Schwein, du hast sie ausgetrunken!«
    Surchow nickte. »Guter Wodka.«
    Nikolai blickte wehmütig durch die Flasche. »War noch mehr im

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