Alles auf Anfang
zugefroren, und Amina saß auf dem Eis und zog soeben ihre Schlittschuhe an. ›Guten Tag‹, sagte der Teufel. ›Darf ich mich dir anschließen?‹ Amina nickte, denn der Teufel war stattlich und gekleidet wie ein feiner Herr. Er ging zurück zu seinem Pferd, machte die Satteltasche auf und holte ein Paar Schlittschuhe heraus, das schwarze Leder blank poliert, die Kufen glänzend und scharf.«
Als Leksi die Geschichte als Kind erzählt bekam, fragte er, wieso der Teufel gewusst hatte, dass er seine Schlittschuhe mitnehmen musste. Wen hatte er das gefragt? Seine Mutter! Er sah sie noch vor sich; sie saß auf der Bettkante, während Leksi und sein Bruder sich um die Zudecke stritten. Er fragte, wieso der Teufel gewusst hatte, dass er die Schlittschuhe mitnehmen muss, und sein Bruder stöhnte und nannte ihn einen Dummkopf. Aber seine Mutter nickte, als wäre das eine sehr kluge Frage. Er hätte alles Erdenkliche aus der Satteltasche ziehen können, erklärte sie Leksi. Schließlich war es die Satteltasche des Teufels. Wenn er eine Posaune gebraucht hätte, dann wäre auch die drin gewesen.
»Amina beobachtete den Teufel aufmerksam«, fuhr die alte Frau fort. »Sie verfolgte, wie er sich aufs Eis setzte und seine Stiefel auszog, und sie sah seine gespaltenen Hufe. Sie blickte rasch weg, damit er sie nicht dabei ertappte, wie sie ihn beobachtete. Sie fuhren hinaus auf den See. Der Teufel konnte hervorragend Schlittschuh laufen. Er lief perfekte Achter, er führte graziöse Pirouetten aus, er sauste über das Eis und sprang hoch und drehte sich in der Luft. Als er wieder bei Amina ankam, zog er eine Halskette mit großen blauen Diamanten aus der Tasche. ›Die gehört dir‹, sagte er, legte sie ihr um den Hals und machte den Verschluss zu. ›Komm mit mir in mein Reich, wo ich König bin. Ich will dich zu meiner Königin machen, und du wirst nie wieder arbeiten müssen. Alle meine Untertanen werden sich vor dir verneigen, sie werden duftende Blumen vor deine Füße streuen, wohin du auch gehst. Was immer du dir wünschst, wird dir gehören, bis auf eins: Wenn du mich heiratest und mit mir in mein Reich kommst, wirst du nie wieder zurückkehren können.‹«
Leksi und die alte Frau gingen inzwischen durch eine Hangrinne, über glitschige Steine. Schnee schmolz in der Sonne und rann träge über die Felsbrocken. Der Weg war tückisch, doch die alte Frau schien ihn mühelos zu bewältigen; sie war behände wie eine Ziege.
»Amina lächelte und nickte und gab vor, es sich zu überlegen. Sie fuhr in gemächlichem Tempo weiter, und der Teufel folgte ihr. Sie fuhr und fuhr, und der Teufel lief ihr nach, leckte sich mit der gespaltenen Zunge die scharfen Zähne. Aber Amina kannte den See, und der Teufel nicht. Sie kannte ihn im Sommer, wenn die Fische hochsprangen, um Fliegen
und Falter zu fangen, und sie kannte ihn im Winter, wenn das Eis an manchen Stellen dick war und an anderen dünn. Sie war ein zierliches Mädchen, und der Teufel war ein kräftiger Mann; sie hoffte, dass er so schwer war, wie er aussah.«
Als Leksi der Geschichte so zuhörte und sich erinnerte, wie sie endete, tat ihm der Teufel auf einmal leid. War der Teufel wirklich so schlimm? Gewiss, er hatte den unschuldigen Jungen auf der Straße umgebracht. Doch Aminas Mutter hatte es verdient, weil sie ihre Tochter so billig verkauft hatte. Und was den Wunsch des Teufels betraf - konnte man ihm daraus einen Vorwurf machen? Er wollte die schönste Frau der Welt heiraten. Was war dagegen einzuwenden?
Lass die alte Frau einfach gehen, dachte Leksi. Lass sie doch einfach gehen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sie vor Einbruch der Dunkelheit nirgendwo Zuflucht finden. Zumindest würde ich ihr eine Chance geben, und was könnte sie mehr von mir verlangen? Es wäre nur barmherzig, sie gehen zu lassen. Doch dann dachte Leksi an Nikolai. Nikolai würde sich erkundigen, wie es gelaufen war, und Leksi wäre gezwungen zu lügen. Nur dass er sich nicht vorstellen konnte, Nikolai anzulügen. Leksi log nie; er konnte es nicht. Er stellte sich Nikolais Gesicht vor und wusste, dass er dem älteren Soldaten nichts vormachen konnte. Aber er konnte auch nicht zurück in die Villa gehen und zugeben, dass er einen klaren Befehl nicht befolgt hatte.
»Endlich hörte Amina, wie das Eis unter ihren Schlittschuhen zu knacken begann. Der Teufel war direkt hinter ihr, streckte schon die Hand nach ihr aus, die Fingernägel nur Zentimeter von ihrem Haar entfernt. Gerade als er sie
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