Alles auf Anfang
packen wollte, barst das Eis unter ihm, und er stürzte mit
einem Schrei in das kalte Wasser. ›Amina!‹, brüllte er. ›Hilf mir!‹ Doch Amina glitt so schnell davon, wie sie nur konnte. Sie erreichte den Rand des Sees, nahm ihre Schlittschuhe ab, zog ihre Stiefel an und verließ die Stadt und kam nie wieder zurück.«
Aber die Diamanten hat sie behalten, dachte Leksi. Vielleicht verwandelten sie sich wieder in Augäpfel. Er erinnerte sich, dass er als Kind enttäuscht war, dass sich der Teufel so leicht in eine Falle locken ließ. Warum konnte er nicht einfach Feuer spucken und das ganze Eis schmelzen lassen?
Das Schmelzwasser hatte einen kleinen Bach in der Hangrinne entstehen lassen, der die halbe Höhe von Leksis Stiefeln erreichte. Er hatte Angst, hinzufallen und sich den Knöchel zu verrenken - wie sollte er mit einem verstauchten Knöchel wieder auf den Hügel kommen? Trotzdem war es weniger anstrengend, als durch den nassen Schnee zu stapfen. Er erinnerte sich, wie er und sein Bruder im Sommer frühmorgens aufstanden, unter großen Steinen nach Schnecken und Käfern suchten, sie an Fischhaken befestigten, in den verschmutzten Fluss wateten und ihre Angeln auswarfen. Sie fingen nie etwas, die Abwässer aus der nahen Papierfabrik hatten die Fische vergiftet, aber Leksis Bruder erzählte dann den ganzen Morgen Witze, und später legten sie sich ans Ufer und sprachen über Hockeystars, die in Amerika spielten, und Schauspielerinnen im Fernsehen.
»Was ist dann passiert?«, fragte Leksi die alte Frau. Er konnte sich nicht erinnern, ob es noch ein Schlusswort gab.
Die alte Frau blieb stehen und blickte zum Himmel. Auf einem Tannenast über ihnen kreischte eine Amsel. »Niemand weiß es. Irgendwann schwamm der Teufel unter dem Eis
durch und wieder in die Hölle. Man sagt, dass er jeden Winter zurückkommt, nach Amina sucht, ihren Namen ruft.«
Der Teufel hat sie wirklich geliebt, dachte Leksi. In Märchen und in Filmen war er immer für die Bösen, nicht weil er sie bewunderte, sondern weil sie keine Chance hatten. Die Bösen waren die wahren Verlierer. Sie gewannen nie.
Leksi und die alte Frau standen regungslos da, während ihr Atem sich gespenstisch um ihre Köpfe ringelte. Leksi hörte ein Knurren und drehte sich um, um festzustellen, woher es kam. Im Schatten eines großen Felsbrockens zwanzig Meter weiter machten sich drei Hunde über die noch dampfenden Eingeweide eines Rehs her. Alle Hunde schienen Leksis Blick im gleichen Moment zu spüren; sie hoben die Köpfe und starrten ihn an, bis er die Augen niederschlug.
Leksi blickte bergauf und merkte, dass sie nicht mehr auf einer Anhöhe standen. Erschrocken suchte er nach Fußspuren, doch auf den nassen Steinen der Rinne waren keine. Wie lange waren sie im Bach gegangen? Wo waren sie hineingestiegen? Die hohen Tannen sahen für ihn alle gleich aus; sie erstreckten sich, soweit das Auge reichte. Nichts als Tannen und schmelzender Schnee, übersät mit abgebrochenen Zweigen und Tannenzapfen. Die Hunde beobachteten ihn, und die Amseln kreischten, und Leksi wusste, dass er sich verirrt hatte. Er hängte sich das Gewehr über die Schulter, zog einen Handschuh aus und begann in den Taschen seines Parkas nach dem Kompass zu kramen. Die alte Frau drehte sich um und sah ihn an, und Leksi versuchte, so ruhig wie möglich zu bleiben. Er holte den Kompass heraus und studierte ihn. Er nordete ihn ein und schloss dann die Augen. Es war zwecklos. Er hatte keine Ahnung, in welcher
Richtung das Haus lag. Zu wissen, wo Norden war, half ihm nicht weiter.
Die alte Frau lächelte ihn an, als er die Augen öffnete. »Die Geschichte ist sehr alt. Natürlich«, sagte sie und ließ den langen Stiel der Schaufel auf die nassen Steine fallen, »sagen manche, dass es den Teufel gar nicht gibt.«
Leksi setzte sich an den Rand des inzwischen lebhaften Baches. Wenn er sich konzentrierte, dann, so glaubte er, würde alles gut werden. Aber wenn er sich nicht konzentrierte, dann würde er in dieser Nacht hier sterben, der Schnee würde sich auf seinen Leichnam senken, und nur die Hunde würden wissen, wo er zu finden war. Er blickte auf seinen Schoß, um seine Augen von dem grellen Licht ausruhen zu lassen. Da ihm warm war, legte er das Gewehr auf den Boden und schlüpfte aus seinem Parka. Die Sonne brannte auf sein Gesicht, und er konnte spüren, wie seine blassen Wangen sich zu röten begannen. Er lauschte der Natur um ihn herum: den Hunden, die die Amseln anknurrten; den
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