Alles auf Anfang
Schnee, und er versuchte, nur in dieser Spur zu gehen, ohne zu wissen, warum das wichtig war, aber darauf bedacht, sie nicht zu verlassen.
»Kennst du die Geschichte vom Teufel, der nach Orechowo kommt?«
»Nein«, sagte Leksi.
»Die Geschichte ist sehr alt. Mein Großvater hat sie mir erzählt, als ich klein war. Der Teufel war einsam. Er wollte ein Weib. Er wollte Gesellschaft in seinem Palast in der Hölle.«
Die Art und Weise, wie die alte Frau sprach, verriet Leksi, dass sie die Geschichte schon oft erzählt hatte. Sie hielt nie inne, um zu überlegen; sie suchte nie nach den richtigen Worten. Er stellte sich vor, wie sie am Bett ihrer Kinder, und später ihrer Enkelkinder, saß und ihnen ihr Lieblingsmärchen erzählte, die Geschichte vom Teufel, der nach Orechowo kommt.
»Da rief er seine dienstbaren Geister herbei, alle Dämonen, die durch die Welt streiften und Unfrieden stifteten. Er führte sie in die Versammlungshalle und forderte sie auf, ihm die schönste Frau auf Erden zu nennen. Natürlich stritten sich die Dämonen stundenlang. Sie konnten sich nicht einig werden. Raufereien brachen aus, als jeder die Sache seiner Favoritin verfocht. Der Teufel sah gelangweilt zu und trommelte mit seinen langen Fingernägeln auf die Armstützen seines Throns. Doch endlich, nachdem Schwänze abgehackt und Hörner abgebrochen worden waren, trat einer der ranghöheren Dämonen vor und verkündete, dass sie ihre Wahl getroffen hätten. Das Mädchen heiße Amina und lebe in der Stadt Orechowo.«
Leksi lächelte. Er hatte die Geschichte schon gehört, nur dass in der Version, die er kannte, die schöne Frau in Petrikow lebte und Tatjana hieß. Er versuchte sich zu erinnern, wer ihm die Geschichte erzählt hatte.
»Da bestieg der Teufel sein großes schwarzes Pferd und ritt nach Orechowo. Es war an einem Wintertag. Als er dort ankam, begegnete er auf der Straße einem kleinen Jungen und fragte ihn, wo die schöne Amina wohne. Nachdem der Kleine es ihm gesagt hatte, packte er ihn beim Kragen, schnitt ihm die Kehle durch, riss ihm die blauen Augen aus und
steckte sie ein. Er warf die Leiche des Jungen in einen Graben und setzte seinen Weg fort.«
Leksi erinnerte sich daran. Sprich niemals mit Fremden, so lautete die Lektion. Er blickte bergauf und sah, dass die Villa nicht mehr in Sicht war. Wenn er die alte Frau jetzt gehen ließ, würde es kein Mensch wissen. Aber dann würde sie zu ihren Leuten laufen und ihnen sagen, dass drei Russen ihr Haus besetzt hatten. Vielleicht würde ein Gegenangriff stattfinden und Leksi würde in dem Bewusstsein sterben, seinen eigenen Tod herbeigeführt zu haben.
»Als der Teufel zu Aminas Haus kam, band er sein Pferd an einen Pfosten und klopfte an die Tür. Eine dicke Frau öffnete und bat ihn einzutreten, denn der Teufel war gekleidet wie ein feiner Herr. Sie rührte in einem Topf mit Suppe, die über dem Feuer köchelte. ›Was ist Euer Begehr, Fremder?‹, fragte sie. ›Ich suche Amina‹, sagte der Teufel. ›Ich habe von ihrer großen Schönheit gehört.‹
›Sie ist meine Tochter‹, sagte die dicke Frau. ›Seid Ihr gekommen, um ihre Hand anzuhalten? Viele Freier machen ihr den Hof, doch sie hat noch alle verschmäht. Was habt Ihr zu bieten?‹ Der Teufel holte einen Beutel hervor und band die Kordel auf. Er schüttete einen Haufen Goldmünzen auf den Boden. ›Ei‹, sagte Aminas Mutter, ›nun bin ich endlich reich! Geht zu ihr, sie ist am See. Sagt ihr, dass ich Euren Antrag billige.‹ Als die Frau sich auf den Boden setzte und ihr Gold zu zählen begann, schlich der Teufel von hinten an sie heran und schnitt ihr die Kehle durch. Er riss ihr die blauen Augen aus und steckte sie ein. Er schöpfte sich einen Teller Suppe und aß, bis er satt war, verließ dann das Haus und bestieg wieder sein schwarzes Pferd.«
Lass niemals einen Fremden ins Haus, dachte Leksi. Und zähle niemals dein Geld, während jemand hinter dir steht. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr bezweifelte er, dass die Tschetschenen das Haus angreifen würden. Wozu auch? Jeder direkte Angriff hätte umgehend Vergeltungsmaßnahmen zur Folge, sodass sie das Haus nicht halten konnten, falls sie es einnahmen. Das damit verbundene Risiko war zu groß für so geringen Lohn: drei Russen ohne Fahrzeuge oder Artillerie.
»Der Teufel kam an den See und erblickte sein Ziel. Seine Dämonen hatten gut gewählt: Amina war schöner als alle Engel, mit denen der Teufel früher Umgang gepflegt hatte. Der See war
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