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Alles auf Anfang

Alles auf Anfang

Titel: Alles auf Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benioff David
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Raumschiffe, Detektive und Cowboys, die die Regale in meinem Kinderzimmer füllten. Er säuberte seinen Geist von allem Fantastischen und musste mit ansehen, wie sein einziges Kind in diesen Schmutz zurücksank.
    Diese Geschichte beginnt an einem Dienstag. Ich war zwanzig Jahre alt. An schlechten Nachmittagen fand ich mich manchmal an einem Ort wieder, an den ich gar nicht hatte
gehen wollen: ausgestreckt im abgestorbenen Gras des Bryant Park, eine Flasche Selleriesoda auf der Brust balancierend; in einem chinesischen Kräuterladen, exotischen Staub einatmend; mit der Subway bis zur Endstation, Far Rockaway, fahrend und wieder zurück. Die schlechten Tage kamen wie Churchills schwarze Hunde; sie lauerten im Flur vor meinem Zimmer, krallten sich im Teppich fest und nagten an den Rändern. Wenn sie so sehr an mir genagt hatten, dass ich nicht spazieren gehen konnte, fuhr ich mit dem Taxi zum Frick Museum, stellte mich vor Bellinis heiligen Franziskus und wartete, bis wieder alles im Lot war.
    An diesem schlechten Dienstag starrte ich auf den heiligen Franziskus, und der heilige Franziskus starrte in den Himmel, die offenen Hände seitlich an den Körper gelegt, den Kopf zurückgeworfen, die Lippen leicht geöffnet, bereit, die ganze Gnade des Herrn zu empfangen. Bellini zeigt den Mann im Augenblick seiner Stigmatisierung, als die Wundmale auf seinen Handflächen zu bluten beginnen. Ich glaube nicht, dass ich vulgär oder ungenau bin, wenn ich sage, dass der Gesichtsausdruck des Heiligen orgasmisch ist - die Verzückung angesichts einer göttlichen Penetration. Die Tiere warten auf ihn, der wilde Esel, das Kaninchen, der dünnbeinige Reiher - sie wollen ihn sprechen, sie sehen, dass Franziskus in Ekstase ist und sind besorgt. Aus Sicht der Tiere, so glaube ich, kann etwas, das Blut austreten lässt, nichts Gutes bedeuten. Insbesondere das Kaninchen verfolgt die Geschehnisse äußerst skeptisch.
    Nach einer Stunde wurde es in meinem Kopf wieder ruhiger, die Gedanken begannen in relativ geordneten Bahnen zu fließen, meine Blase schwoll schmerzhaft an. In der Toilette
schloss ich mich in der Kabine ein, erledigte mein Geschäft, klappte den Klodeckel zu und setzte mich hin, um eine zu rauchen.
    Die Wände der Kabine waren mit Namen und Ortsangaben überzogen, einem profanen Graffito: Rajiv aus London, Thiago aus São Paulo, Sikorsky aus Brooklyn.
    Jemand klopfte an die Tür. »Besetzt«, sagte ich.
    »Sie müssen die Zigarette ausmachen, Sir. Im Museum ist Rauchen verboten.«
    Ich tat einen letzten langen Zug, stand auf, klappte den Klodeckel hoch und spülte die Kippe hinunter. Als ich die Tür der Kabine aufmachte, stand der Wärter noch immer da, ein müde wirkender Bursche etwa meines Alters, Segelohren, schmale Schultern, der kastanienbraune Blazer zwei Nummern zu groß. Er sah mich wehmütig an, die Hände in den Taschen.
    »Sie rauchen Lucky Strikes«, sagte er. »Ich konnte es schon im Korridor riechen. Das war früher mal meine Marke.« Er sagte es mit unglücklicher Miene, als lautete die wahre Bedeutung seiner Worte: Du hast mit Cindy geschlafen. Das war früher mal meine Freundin. »Hey«, setzte er lächelnd hinzu, »der heilige Franziskus.«
    Ich blickte ihn argwöhnisch an, und er nickte begeistert.
    »Sie sind doch der, der immer herkommt und vor dem Gemälde des heiligen Franziskus steht. Wieso eigentlich, gefallen Ihnen die anderen Sachen nicht?«
    »Doch, Der polnische Reiter gefällt mir auch.«
    Ich verbrachte zu viel Zeit in diesem Museum. Das Frick war wegen der Studentenermäßigung immer für einen billigen Nachmittag gut - ich hatte die NYU nach einem Semester
verlassen, meinen Studentenausweis aber behalten. Ich hasste die Vorstellung, dass ich beobachtet wurde. Vielleicht war ich zu abhängig vom heiligen Franziskus geworden. Ich ging zum Waschbecken und wusch mir die Hände.
    »Der gefällt mir auch. Hören Sie, tut mir leid, dass ich Sie da rausgescheucht habe. Fast wie in der Schule, wo’s dafür Arrest gibt. Aber ich arbeite erst seit ein paar Wochen hier und na ja, Sie wissen schon.«
    Er hielt mir die Tür auf, und ich bedankte mich, verließ die Toilette und trocknete mir die Hände an meiner Cordhose ab. Der Wärter folgte mir mit seinem o-beinigen, großspurigen Gang, als hätte er sechsschüssige Revolver umgeschnallt. »Die Sache mit den Lucky Strikes ist, die schmecken irgendwie süß, irgendwie … Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll.«
    »Sie sind nicht aus New York,

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