Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles auf Anfang

Alles auf Anfang

Titel: Alles auf Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benioff David
Vom Netzwerk:
gezwinkert.«
    »Ich hab mir gedacht, dass vielleicht mal ein Verrückter gelbe Farbe auf die Tizians kippt oder was Ähnliches, aber Löwen? Da müsste ich eigentlich, wie heißt das doch gleich, Gefahrenzulage kriegen, oder?«
    Der Barkeeper, ein alter Zypriote mit schwarz gefärbten Haaren, der schon damals in dem Pub arbeitete, als mein Vater mich als Kind zum ersten Mal mit hierher nahm, putzte die Chromplatte des Tresens mithilfe eines Lappens und einer Sprühflasche. Er pfiff eine Melodie, die ich nicht zuordnen konnte, ein ganz bekanntes Stück. Es war zum Verrücktwerden, dass mir der Name einfach nicht einfiel.
    »Wie lange bist du schon hier?«, fragte ich Butchko.
    »In New York? Neun Monate. Unten in der Delancey.«
    »Das ist eine nette Gegend. Darf ich fragen, was du da bezahlst?«

    Er nahm die Essiggurke von seinem Brötchen und bot sie mir an. Die Gurke war gut. »Einsfünfzig.«
    »Einsfünfzig? Was heißt das?«
    »Einhundertfünfzig Dollar. Im Monat.«
    Ich starrte ihn an, wartete auf eine Erklärung.
    »Komm halt mal rüber und schau dir meine Bude an. Ein echtes Schnäppchen. Ich hab den Hausverwalter kennengelernt, und wir sind ins Geschäft gekommen. Du weißt ja, New York ist sehr teuer.«
    »Stimmt«, sagte ich.
    »Eigentlich hatte ich gar nicht das Geld, um hierher zu ziehen, aber das gehört zu den Bedingungen. Als Titelinhaber.«
    »Titelinhaber?« Ich musterte seinen mageren Hals, seine kleinen weißen Hände. »Bist du etwa Boxer?«
    »Nö.« Er lächelte, kleine schwarze Fleischreste auf den Lippen, zwischen den Zähnen. »Nichts in der Art.«
    »Soll ich dreimal raten? Bist du Anastasia, die Tochter des Zaren?«
    »Es ist was, was ich nicht an die große Glocke hängen darf. Keine Publicity.«
    Ich seufzte und wartete.
    »Na schön«, sagte er, »na schön. Aber du darfst es nicht weitererzählen. Das gehört zur Abmachung, ich muss es geheim halten. Ich bin der Liebhaber«, sagte er und strahlte unwillkürlich ein wenig.
    »Okay«, sagte ich. »Wessen Liebhaber?«
    »Nein, der Liebhaber. Ich bin Der Liebhaber.«
    »Aha«, sagte ich und trank mein Bier aus. Der Barkeeper, der gerade Limonen viertelte, pfiff immer noch den gleichen Song. »Du bist also ein Pornostar.«

    »Nein«, sagte er gekränkt. »Nichts in der Art.« Er blickte sich in der schummrigen Kneipe um, vergewisserte sich, dass niemand in Hörweite war. »Der Liebhaber der Ostküste. Ich bin Der Größte Liebhaber an der Ostküste. Abgesehen von Florida, die machen ihr eigenes Ding.«
    Ich lächelte ihn fröhlich an. Das ist das Tolle an New York: Ganz egal wie verrückt man selber ist, der Erstbeste, der einem über den Weg läuft, ist mit Sicherheit doppelt so bekloppt.
    »Gibt es da«, fragte ich, »eine Art Turnier?«
    »Man kann sich nicht darum bewerben«, sagte Butchko. »Das ist eher so was wie Hofdichter, wo man ernannt wird. Der Liebhaber vor mir, Gregory Santos, lebt oben in der Bronx, beim Mosholu Parkway. Echt netter Kerl. Er hat mich auf ein paar Drinks eingeladen, als ich den Titel bekam, hat mir erklärt, wie ich mich in bestimmten Situationen verhalten muss. Er hat gesagt, das wird mein Leben verändern. Der ganze Druck - ich meine, die Frauen haben heutzutage gewisse Erwartungen . Es ist, als ob man die New York Yankees wäre.«
    Ich sann eine Weile darüber nach. Die New York Yankees? Es waren keine anderen Gäste mehr in der Bar, nur wir beide und der pfeifende Barkeeper. Ich stellte mir vor, wie der Zypriote mit der Subway zur Arbeit fuhr, den Kopf in die Zeitung vergraben, während neben ihm ein kleines schwarzäugiges Mädchen eine Melodie pfiff, die der Vater beim Frühstück auf den beim Rasieren verletzten Lippen gehabt hatte, eine Melodie, die der Vater am Abend davor gehört hatte, als er in einem überfüllten Fahrstuhl stand und verfolgte, wie die aufleuchtenden Stockwerksnummern abwärtszählten.
    Ich konzentrierte mich auf Butchkos fahles Gesicht, die lila Ringe unter seinen Augen. Wenn man ein Gesicht studiert,
verhalten sich die Dinge eine Weile ruhig. Ich versuchte mir vorzustellen, dass dies der Mann war, von dem Millionen von Frauen an der Ostküste träumten, während sie gedankenverloren die Ränder von Kreuzworträtseln vollkritzelten. Ich versuchte mir vorzustellen, wie er von der Nordspitze von Maine bis hinunter nach Georgia von ihm verführte, glückselig lächelnde Frauen besprang, ihnen ins Ohr flüsterte, sie zu epileptischen Zuckungen hinriss, die Haut über den zum

Weitere Kostenlose Bücher